Der verlorne Sohn
stiegen langsam weiter. Bereits nach wenigen Schritten blieb der Offizier halten und fragte:
»Sehen Sie die Beine?«
»Ja.«
»Er kann sie nicht genug an sich ziehen. Es ist also ein Mensch. Avisiren wir unsere Leute!«
Ein lautes Commandowort genügte, um die Soldaten auf den betreffenden Punkt aufmerksam zu machen.
»Wer da?« fragte nun der Corporal.
Es erfolgte keine Antwort.
»Antwort oder ich schieße!«
Als auch jetzt noch nichts erfolgte, drückte der Corporal ab. Er konnte nur die Beine sehen, hatte aber dahin gezielt, wo er den Kopf vermuthete.
»Er bewegt sich noch immer nicht,« meinte der Lieutenant, »gehen wir also drauf.«
Auch die anderen Leute kamen von allen Seiten herbei. Sie fanden hinter dem Busche den Amerikaner.
»Todt! Er ist todt!« rief der Lieutenant.
»Meine Kugel muß ihn getroffen haben,« meinte der Corporal.
»Vielleicht, aber mir scheint, er ist an etwas anderem gestorben. Seht dieses Gesicht! Es ist ganz zerfetzt und zerrissen. Woher mag das kommen?«
»Er muß gestürzt sein.«
»Ah, ja! Blickt da hinauf! Man sieht es ganz genau, daß er hier herabgestürzt ist. Er hat also den Felsen bereits erstiegen gehabt und nur bei den letzten Schritten vielleicht einen Fehltritt gethan. Er sieht schauderhaft aus.«
Der Corporal wollte niederknieen, um den Todten zu untersuchen; da aber sagte der Lieutenant schnell:
»Halt! Nicht anrühren! Wir befinden uns nicht im Gefecht. Es handelt sich hier um einen Criminalverbrecher, um einen Todesfall, welcher von den Organen der Gerichtspolizei untersucht werden muß. Das geht uns nichts an. Wir haben den Arzt mit. Er mag ihn untersuchen. Gebt jetzt das Zeichen: eine Salve!«
Die Gewehre wurden zugleich abgeschossen. Das gab einen Knall, welcher auf weite Entfernung hin gehört und vom Echo vielmal wiederholt wurde. Zur besseren Orientirung der Herbeigerufenen schoß man noch einige Male einzelne Gewehre ab, bis von verschiedenen Seiten Militär-und Forstpersonen herbeigeeilt kamen.
Einer der Ersten war der Hauptmann der Compagnie. Ihn begleitete der Arzt. Bei diesen Beiden befand sich ein Oberförster und auch ein Obergensdarm.
»Sie ließen das Zeichen geben, Lieutenant?« rief der Hauptmann bereits von Weitem. »Haben Sie vielleicht eine Spur entdeckt?«
»Nicht nur eine Spur, sondern ihn selbst.«
»Ah! Wo, wo?«
»Hier liegt er.«
Die Herren kamen förmlich herbeigestürzt. Als der Hauptmann die Leiche sah, stieß er hervor:
»Ah! Sie haben ihn erschossen!«
»Nein. Er war bereits todt. Er ist von da oben herabgestürzt, Herr Hauptmann.«
Alle blickten nach der Felsenhöhe. Der Obergensdarm meinte:
»Dann muß er allerdings eine Leiche sein. Bitte, Herr Doctor, untersuchen Sie ihn!«
»Wollen wir nicht erst sehen, wen wir vor uns haben?« fragte der Angeredete.
»Gewiß, Sie haben recht. Das ist ja die Hauptsache.«
Der Polizeibeamte wendete die Leiche um, zog den Rockhenkel unter dem Kragen hervor und sagte:
»Er ist es. Die Suche ist also nicht vergeblich gewesen.«
»Täuschen Sie sich nicht?«
»Nein. Der Henkel ist aus gepreßtem Leder gefertigt und zeigt den eingestanzten Namen des Schneiders. Es ist der Rock, welchen er dem Baron von Scharfenberg genommen hat. Und da, sehen Sie!«
Er zeigte die blonde Perrücke.
»Bemerken Sie das schwarze Haar, welches er unter dieser Perrücke getragen hat. Das Gesicht ist nicht zu erkennen, aber die Figur und Alles stimmt. Bitte, Herr Doctor, sehen Sie jetzt nach!«
Der Arzt begann die Untersuchung. Er schüttelte den Kopf, er entfernte die Kleidung von der Brust, er nahm verschiedene Manipulationen vor, über welche die anwesenden Laien bei anderer Gelegenheit gelacht hätten. Das dauerte lange, beinahe eine Viertelstunde, dann endlich erhob er sich und holte tief Athem.
»Nun, Doctor, wie steht es?« fragte der Hauptmann.
»Er lebt noch.«
»Alle Teufel! Ist’s möglich?«
»Ja. Von da oben herabzustürzen, ohne ein einziges Glied zu brechen, das hält man freilich für unmöglich. Ob er innerlich verletzt ist und wo und wie, das kann ich natürlich jetzt nicht wissen. Athem ist da, Puls auch, wenn auch nur ein Hauch, eine Ahnung. Wie es mit dem Gehirn steht, weiß ich auch nicht.«
»Er hat blutigen Schaum vor dem Munde. Ich denke, das ist ein Zeichen des Todes?«
»Nein. Er hat sich während des Sturzes die Zunge fast durchgebissen, daher das Blut.«
»Denken Sie, daß er zur Besinnung kommen wird?«
»Das kommt auf seine Verletzungen an. Vielleicht
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