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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ist. Ich kann die Sache keinesfalls auf sich beruhen lassen.«
    Wortlos nickte sie, fest entschlossen, ihm zu folgen und ihn nicht aus den Augen zu lassen.
     
    Er verließ das Haus mit gemächlichem Schritt, so, als wolle er sich nur ein wenig die Beine vertreten. Doch als sie, in ein Umschlagtuch gehüllt, aus der Haustür kam, sah sie, wie er dem Ende der Straße so eilig entgegenstrebte, dass ihr kaum Zeit blieb, die Tür hinter sich zu schließen. Ein kleines Stück musste sie sogar im Laufschritt zurücklegen, um den Abstand nicht zu groß werden zu lassen. Sie hatte ihr Ridikül mitgenommen, mit genug Geld darin, um bei Bedarf auch eine lange Droschkenfahrt bezahlen zu können.
    Er bog um die Ecke in die Hauptstraße. Wenn sie ihn nicht aus den Augen verlieren wollte, musste sie den Schritt beschleunigen. Ganz wie sie vermutet hatte, trat er auf die erste der wartenden Droschken zu und stieg ein, nachdem er einige Worte mit dem Kutscher gewechselt hatte.
    Rasch drehte sie sich um und tat so, als musterte sie die Auslage eines Geschäfts. Sobald die Droschke vorübergerollt war, hielt sie Ausschau nach der nächsten und nannte dem Kutscher Cormac O’Neils Adresse, wobei sie ihn zugleich aufforderte, so schnell wie möglich zu fahren.
    »Sie bekommen einen Shilling zusätzlich, wenn es Ihnen gelingt, Ihren Kollegen einzuholen, der vor einer Weile hier abgefahren ist«, versprach sie.
    Sie beugte sich vor und spähte angespannt hinaus, während die Droschke über das Pflaster rumpelte. Nachdem eine Straßenecke umrundet war, trieb der Kutscher die Pferde erneut zu einer schnelleren Gangart an. Sie hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wo sie sich befanden, und obwohl die Fahrt kaum länger als eine Viertelstunde dauerte, kam sie ihr
endlos vor. Schließlich hielt die Droschke vor dem Haus an, das sie am Vorabend aufgesucht hatte.
    Als sie ausgestiegen war, dauerte es einen Moment, bis sie wieder fest auf den Beinen stand. Sie dankte dem Kutscher, gab ihm mehr, als er verlangt hatte, und legte den versprochenen Shilling noch dazu.
    Dann strebte sie erneut über den schmalen Weg, den sie am Vorabend im Dunkeln gegangen war, auf das Haus zu. Jetzt, in der Helligkeit des Tages, schien er ihr länger zu sein, kamen ihr die Büsche zu beiden Seiten beengender vor. Vielleicht lag das daran, dass die Kronen der Bäume über ihr das Sonnenlicht nicht durchließen.
    Sie hatte die Haustür noch nicht ganz erreicht, als sie ein wütendes Kläffen hörte. Konnte das derselbe Hund sein, der am Vorabend so friedlich mit dem Kopf auf den Pfoten zu O’Neils Füßen gelegen und sie so gut wie gar nicht zur Kenntnis genommen hatte? Es überraschte sie, dass sich Cormac nicht um das Bellen zu kümmern schien. Er konnte es unmöglich nicht gehört haben.
    Die Haustür gab schon bei einer leichten Berührung ihrer Finger nach und öffnete sich.
    Narraway stand in der Diele und fuhr herum, als von draußen Licht hereinfiel. Einen Augenblick lang war er verblüfft, fasste sich aber sogleich wieder.
    »Ich hätte es mir denken müssen«, sagte er mit finsterer Miene. »Warte hier.«
    Inzwischen hatte sich das wütende Gebell des Hundes noch gesteigert. Es klang, als werde er jeden zerreißen, der in seine Nähe kam, sobald man die Tür des Zimmers öffnete, in dem er sich befand.
    Charlotte dachte nicht daran, Narraway allein zu lassen. Sie trat näher und sah sich suchend nach dem Schirmständer um, den sie am Vorabend gesehen hatte. Sie nahm einen schwarzen
Schirm mit einer scharfen Stahlspitze heraus und hielt ihn wie einen Stockdegen vor sich.
    Narraway trat auf die Tür des Wohnzimmers zu, rechts von dem sich der Hund hörbar gegen die Tür zu einem anderen Raum warf, wobei er nun auf eine Weise knurrte, als habe er einen Feind oder Beute gewittert.
    Narraway öffnete die Tür und blieb sofort reglos stehen. An seiner Schulter vorüber sah Charlotte, dass Cormac O’Neil rücklings auf dem Boden lag. Um die Überreste seines Kopfes herum bildete sich eine Blutlache.
    Sie musste unwillkürlich schlucken und gab sich große Mühe, die in ihr aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Noch am Vortag hatte ihr dieser Mann lebend gegenübergesessen, hatte gewütet und Tränen wegen seines Grams vergossen. Jetzt war von ihm nichts übrig als ein toter Körper, der darauf wartete, von Menschen gefunden zu werden, denen möglicherweise nicht das Geringste an ihm lag.
    Narraway trat zu Cormac, beugte sich vor und berührte dessen

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