Der Verrat
er am anderen Ende den Kopf schüttelte. Ich lächelte erneut. Irgendwie mochte ich den Jungen, trotz seines schlechten Geschmacks bei der Wahl seines Arbeitgebers. Mich hatten damals die Gegenmaßnahmen beeindruckt, die er nach meiner Warnung gegen seinen Boss ergriffen hatte, und ich fand es spannend zu beobachten, wie er sich vom naiven Idealisten zu einem mit allen Wassern gewaschenen Mitspieler entwickelte.
»Unser Freund ist gerade angekommen«, sagte er.
»Ich weiß. Ich hab ihn gestern Abend gesehen.«
»Gut. Hören Sie, wir haben ihn im Visier. Wenn Sie das Handy anlassen würden, könnten wir Ihnen stets aktuelle Informationen liefern.«
Ich wusste es zwar nicht mit Sicherheit, argwöhnte aber, dass die CIA Belghazi mit Hilfe eines kontaminierten Handys oder Satellitentelefons auf der Spur blieb. Ich würde nicht denselben Fehler begehen.
»Klar«, sagte ich mit einem so neutralen Tonfall, dass es schon sarkastisch klang.
Es entstand eine Pause. »Sie werden es also nicht anlassen«, sagte er halb resigniert, halb verwundert.
Ich lachte.
»Wir hätten bessere Erfolgsaussichten, wenn wir zusammenarbeiten würden«, sagte er so treuherzig wie eh und je.
Ich lachte wieder.
»Meinetwegen, machen Sie’s, wie Sie wollen«, sagte er. »Das tun Sie ja sowieso.«
»Sonst noch was?«
»Und ob. Es wäre wirklich schön, wenn Sie mir ein paar Ihrer Ausgaben erklären könnten.«
»Meine Güte, das Thema hatten wir doch schon. Ich brauche das Geld, um in die Räume zu kommen, wo die richtig großen Zocker spielen. Gestern hab ich gesehen, wie ein Typ aus China eine Million US-Dollar an einem Baccarat-Tisch verloren hat. Und da spielt auch unser Freund. Ich muss in seine Nähe kommen, und Zuschauer sind da nicht zugelassen. Genauso wenig wie Durchschnittsspieler.«
Wahrscheinlich wollte er mir nur ins Gewissen reden, damit ich das Gefühl bekam, ich hätte was gewonnen. Ich wusste, dass dieses ganze Projekt zu den heimlichsten Aktionen gehörte, die die CIA je durchgeführt hatte. Das Letzte, was Kanezaki oder seine Vorgesetzten gebrauchen konnten, war eine Papierspur, die der US-Rechnungshof zurückverfolgen konnte.
»Und was ist, wenn Sie tatsächlich was gewinnen?«, fragte er.
»Dann gebe ich das brav in meiner Steuererklärung an, versprochen.«
Er musste lachen, und ich sagte: »Sind wir fertig?«
»Klar. Ach so, eins noch. Eine Kleinigkeit. Letzte Nacht ist jemand bei Ihnen in der Nähe ums Leben gekommen.«
»Tatsache?«
»Ja. Genickbruch.«
»Aua.«
»Sie müssen’s ja wissen.«
Ich wusste, was er dachte. Kanezaki hatte einmal mit angesehen, wie ich jemanden mit einem Genickhebel ins Jenseits beförderte.
»Eigentlich weiß ich es nicht«, sagte ich. »Aber ich kann’s mir vorstellen.«
Ich hörte ein Schnauben. »Merken Sie sich nur eins«, sagte er. »Auch wenn wir nicht in einem Raum mit Ihnen sind, behalten wir Sie trotzdem im Auge.«
»Ich hatte schon immer den Verdacht, dass Ihr Burschen von Natur aus Voyeure seid.«
»Sehr witzig.«
»Wer ist denn hier witzig?«
Eine Pause trat ein. »Hören Sie: Es mag ja sein, dass ich in Ihrer Schuld stehe. Aber das Gefühl hat nicht jeder hier. Und Sie haben es nicht bloß mit mir zu tun. Okay? Sie müssen vorsichtig sein.«
Ich lächelte. »Es tut gut, einen Freund zu haben.«
»Scheiße«, hörte ich ihn murmeln.
»Wenn ich was brauche, melde ich mich«, sagte ich.
»Okay.« Kurzes Schweigen, dann: »Viel Glück.«
Ich legte auf, löschte die Anrufliste und schaltete das Gerät aus.
Der jüngst verschiedene Karate hatte ihn anscheinend nicht sonderlich aus der Ruhe gebracht. Was möglicherweise darauf hindeutete, dass die CIA doch nichts mit ihm zu tun hatte. Oder aber es gab eine Verbindung, und Kanezaki war ganz einfach nicht informiert.
Ich ging weiter. Um mich herum atmete Macau tief ein und aus, wie ein gehetztes Tier.
Am Abend beschlossen Keiko und ich, uns ein wenig beim Glücksspiel im Lisboa zu vergnügen. Ich konnte Belghazi nicht ständig in der Lobby auflauern, ohne irgendwann Aufmerksam keit zu erregen. Und sein Zimmer zu verwanzen wie bei Karate wäre zu riskant gewesen – falls seine Bodyguards die Wanze fanden, würden sie ihre Schutzmaßnahmen verstärken. Die größte Chance, ihn abzufangen, hatte ich nicht dann, wenn ich ihm folgte, sondern wenn ich seine Schritte vorausahnte. So rechnete ich es mir jedenfalls aus.
Das ist manchmal leichter, als man denkt. Man muss sich nur in die Position der
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