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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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dass diese groteske Stadt, die ich gerade betrachtete, ein trauriger und einsamer Ort war, dass die Revuen und Restaurants und die Neonlichter bloß ein schriller Verband um eine klaffende seelische Wunde waren und dass Las Vegas selbst nur ein bizarres und vergängliches Spektakel für die Blicke der Reptilien darstellte, die so wie ich mit starren Augen aus der Ferne zuschauten. In ihrem primitiven Bewusstsein und von ihrem fernen Aussichtspunkt erkannten sie vermutlich, dass das alles bald wieder Buschwerk und Sand sein würde wie schon ewige Zeiten davor.
    Die Erholungspause war stets nur kurz. Ich kehrte unweigerlich wieder zum Strip zurück, wo alles im Übermaß existierte: teure Geländewagen, um auf flachen Asphaltstraßen gefahren zu werden, in denen es nicht mal ein Schlagloch gab, das ihren Ehrgeiz hätte wecken können; endlos lange Buffets, die von unwahrscheinlich korpulenten Gästen vertilgt wurden; Rentner, abgestumpft durch ein Leben vor dem Fernseher und angelockt von dem Verlangen nach immer mehr und mehr Sensationen.
    Ich hatte geglaubt, der elfte September hätte etwas verändert, er hätte die Menschen nachdenklicher, bewusster gemacht. Aber wenn das Trauma des Anschlags überhaupt eine solche Wirkung gehabt hatte, dann war sie jedenfalls nicht von Dauer gewesen. Stattdessen stellte ich während meines kurzen Aufenthalts in den Staaten fest, dass sich in Wirklichkeit nichts verändert hatte. Opferbereitschaft war die Pflicht einiger weniger, die natürlich von der Mehrheit scheinheilig bejubelt wurden. Letztere unterbrach ihre infantile Dauerparty nur mal kurz, um den Soldaten für den Krieg alles Gute zu wünschen.
    Doch das alles war mir gleichgültig. Ich hatte es selbst schon erlebt, als ich frisch aus Vietnam zurückkehrte. Ich hatte meine Soldatenzeit hinter mir. Sollten sich jetzt doch andere damit herumschlagen.
    Keiko und ich stiegen vor dem Lisboa aus dem Taxi, und ich spürte, wie meine Wachsamkeit anstieg. Ich mag keine Kasinos, nicht in Macau, nicht in Las Vegas, nirgendwo. Die Ein- und Ausgänge werden zu gut kontrolliert, das ist das eine. Die Kamera- und Überwachungssysteme sind die besten der Welt, das ist das andere. Jede Bewegung, die man in einer Spielhalle macht, wird auf unzähligen Videobändern aufgenommen und mindestens zwei Wochen lang aufgehoben. Falls es ein Problem gibt – einer gewinnt zu viel, ein Tisch verliert zu viel –, kann sich das Management die Abläufe genau ansehen und herausfinden, wie der Trick funktioniert, um dann entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
    Wir gingen durch einen gläsernen Eingang und fuhren das kurze Stück zur großen Spielhalle mit der Rolltreppe nach oben. Und da war sie: ein kreisrunder Raum von rund tausend Quadratmetern, dicht gefüllt mit einer Menschenmenge, die wie Blutplättchen in einem stockenden Blutkreislauf hin und her wogte; hohe Decken, die fast hinter dichten, von Spotlights angestrahlten Tabakrauchwolken verschwanden; ein lärmendes Durcheinander von Freudenschreien und Enttäuschungsflüchen.
    Keiko wollte an den einarmigen Banditen spielen, was mir nur lieb war, da ich so ungestört die Baccarat-Tische nach Belghazi absuchen konnte. Ich gab ihr eine Rolle Hongkong-Dollar und sagte, ich wäre in ein paar Stunden zurück. Wahrscheinlicher war jedoch, falls alles nach Plan lief, dass ich direkt zum Hotel fahren würde. In dem Fall konnte ich immer noch sagen, ich hätte nach ihr gesucht, sie aber nicht gefunden und mir gedacht, dass sie schon vor mir zurück zum Hotel gefahren wäre.
    Ich ging zu der Treppe, die mich von den Niederungen der kleinen Einsätze in die Räumlichkeiten bringen würde, wo es um das richtig große Geld ging. Ich kam an langen Reihen von Rentnern vorbei, jeder von ihnen in eine monotone Zwiesprache mit einem Spielautomaten vertieft, und ich musste an Tauben denken, die darauf dressiert waren, für eine gelegentliche Belohnung auf einen Hebel zu picken. Als nächstes kamen einige identische Roulettetische. Die Menschen, die sich um sie drängten, waren jünger als die Automatenspieler. Sie waren verbissen, ihre Augen glänzten vor Anspannung, und die Lippen bewegten sich in lautlosem Flehen an ebenjene Götter, die sich ungerührt von den törichten Stoßgebeten einen Spaß daraus machten, ihre Anbeter mit ihrer Launenhaftigkeit zu quälen.
    Ich kaufte Chips im Wert von vierhunderttausend Hongkong-Dollar – rund sechzigtausend US-Dollar. Das und noch mehr hatte ich Kanezaki für »Spesen«

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