Der Verrat
abgeluchst, über deren Höhe er sich vorhin beschwert hatte. Dann schlenderte ich von Raum zu Raum, ging aber in keinen hinein, bis ich fand, was ich gesucht hatte.
Im fünften und obersten Stock, vor dem exklusivsten VIP-Raum des Lisboa, flankierten die beiden Bodyguards die Tür. Belghazi fühlte sich anscheinend so sicher, dass er die »Keine Zuschauer« -Regel klaglos akzeptiert hatte. Außerdem konnten die Bodyguards den Eingang ungestört bewachen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, wenn sie jemanden für verdächtig hielten.
Ihr Pech, dass ich kein verdächtig aussehender Mensch bin. Und ihre Anwesenheit verriet mir genau, wo ich hinmusste.
Ich ging schnurstracks an ihnen vorbei in den Raum. Nur an einem der drei Baccarat-Tische wurde gespielt. Die übrigen waren leer bis auf die Croupiers, deren Haltung so steif war wie die gestärkten Kragen ihrer weißen Hemden und die auf die Spieler warteten, die gewiss im Laufe des späteren Abends hereinspaziert kämen. Dann waren da noch ein paar attraktive Asiatinnen, die ich für eine Art Lockvögel hielt und deren einzige Aufgabe es war, mit ihrem strahlenden Lächeln und dem tiefen Dekolleté gut betuchte Spieler anzulocken.
Ich schaute zu dem Tisch hinüber, an dem gespielt wurde. Da waren sie, Belghazi und die Blondine, beide sehr geschmackvoll und etwas eleganter gekleidet als die anderen Spieler. Belghazi trug ein weißes Hemd mit offenem Kragen und einen marineblauen Blazer, seine Begleiterin eine weiße Seidenbluse und eine schwarze Bolerojacke. Von den vierzehn Plätzen am Tisch waren die meisten besetzt, doch rechts und links von Belghazi und seiner Freundin war noch ein Platz frei. Sie waren die einzigen Ausländer im Raum und hatten die etwas isolierten Stühle vielleicht deshalb genommen, weil sie niemandem zu nahe treten wollten, der vielleicht meinte, die Anwesenheit eines Ausländers bringe Unglück. Ich hatte keinerlei Bedenken dieser Art. Heute Abend sogar ganz im Gegenteil.
Ich war schon mal hier gewesen und hatte gesehen, dass auf eine Hand Summen von bis zu einhunderttausend US-Dollar gesetzt wurden. Ein paar der Stammgäste, das wusste ich, spielten mitunter die ganze Nacht hindurch und bis in den nächsten Abend hinein. Und einige von Belghazis Mitspielern sahen mit ihren glasigen Augen und dem im Licht der Kronleuchter blässlichen Teint so aus, als hätten sie genau das gemacht.
Der Kartengeber drehte das Spielerblatt um und rief laut: »Natürliche Acht!« Ein aufgeregtes Murmeln lief um den Tisch: Die »natürliche Acht« konnte nur noch von einer Neun geschlagen werden. Die Runde würde anhand der Karten entschieden werden, die bereits auf dem Tisch lagen, weil keine weitere Karte ausgegeben werden durfte. Mit nahezu quälender Bedächtigkeit drehte der Kartengeber die Karten der Bank um und rief im selben Moment: »Natürliche Neun!« Es folgte ein Ausbruch von Jubelrufen und Flüchen: Erstere von denjenigen, die auf das Blatt der Bank gesetzt hatten, Letztere von denjenigen, die auf das des Spielers gesetzt hatten. Während der Kartengeber die Karten über den Tisch an die beiden anderen Croupiers reichte, die daraufhin die Gewinneinsätze auszahlten, neigten viele Spieler den Kopf und machten Notizen auf den vom Kasino bereitgestellten Blöcken, weil sie hofften, in der Wahllosigkeit irgendein Muster zu erkennen, eine Glückssträhne, die sie vielleicht zu fassen bekommen könnten.
Ich schlenderte hinüber und setzte mich rechts von Belghazi, da er naturgemäß in die andere Richtung schauen würde, wenn er mit der Blonden sprach oder den Spieler auf Platz eins beobachten wollte, der als Bankhalter fungierte. Ich registrierte die Computertasche, die an seinem Bein lehnte, so dass er es spüren würde, wenn sie irgendwie bewegt wurde.
Er wandte sich mir zu. »Sie habe ich doch schon mal irgendwo gesehen, oder?«, sagte er mit einem französischen Akzent, wobei sich seine dunklen Augen ein wenig verengten. Es wirkte wie der Versuch, sich zu erinnern, und zugleich wie eine Anschuldigung. Die Blondine blickte kurz herüber und dann gleich wieder weg.
Sein Verhalten war ein kleiner Verstoß gegen die Glücksspieletikette in diesen Kreisen, in denen die Anonymität der Spieler höchste Priorität hat. »Vielleicht unten an den Tischen«, entgegnete ich und verbarg meine Überraschung. »Vor meinem Ausflug in die VIP-Räume musste ich mein Konto erst ein bisschen auffüllen.«
Er schüttelte zweimal den Kopf, langsam, und
Weitere Kostenlose Bücher