Der Verrat
Selbstsicherheit war beeindruckend. Ich deutete mit dem Kinn auf Belghazi. »Er kommt jeden Moment wieder zu sich. Wenn er aufwacht und ich bin hier, wird das für uns beide schlecht sein.«
Sie verdrehte die Augen, als sei sie plötzlich verunsichert, und sagte: »Ich werde mich jetzt anziehen.«
Fast hätte ich ihr das abgekauft. Es wirkte ja auch durchaus verständlich – sie stand nackt vor einem Fremden und wollte sich ankleiden. Aber noch einen Moment zuvor hatte ihre Nacktheit sie offenbar nicht gestört. Und Verunsicherung passte nicht zu ihr.
»Tun Sie’s nicht«, sagte ich heftig. Der Stift war jetzt in meiner Tasche, und ich würde ihn nicht schnell genug einsetzen können. Und selbst wenn, mit einem Mont-Blanc-Füller auf jemanden zu zielen ist meist weit weniger überzeugend, als wenn man für denselben Zweck beispielsweise eine 10-Millimeter-Glock benutzt. Ich hätte sie mit dem Stift nicht in Schach halten können, nur erschießen, und das wollte ich nicht.
Sie achtete nicht auf mich. Ich sah, dass sie nach ihrer Tasche greifen wollte, nicht nach ihren Sachen.
Bestimmt hatte sie eine Waffe da drin. Mit zwei langen Schritten war ich bei ihr und trat die Handtasche weg. Im selben Moment richtete sie sich auf, und ich sah, dass ihr linker Ellbogen hochschoss, auf meine rechte Schläfe zielte. Reflexartig beugte ich mich vor, um den Schlag abzufangen, und hob beide Hände. Ihr Ellbogen verfehlte sein Ziel. Doch sofort drehte sie die Hüften in die entgegengesetzte Richtung und erwischte mich mit dem rechten Ellbogen auf der anderen Seite. Wumm. Ich sah Sterne. Ehe sie noch eine Kombination landen konnte, ließ ich mich fallen, schlang den linken Arm um den Fußknöchel, der mir am nächsten war, und rammte meine Schulter gegen ihr Schienbein. Sie fiel mit voller Wucht auf den Rücken.
Um zu verhindern, dass sie mit ihrem freien Bein oder überhaupt mit den Füßen angreifen konnte, stützte ich eine Hand auf ihre Hüfte und stieß mich von ihr weg. Ich kam auf die Beine und wich zurück, beobachtete sie argwöhnisch.
»Sind Sie verrückt?«, fragte ich leise. »Was soll er denn denken, wenn Sie ihn aufwecken?« Das war schließlich die entscheidende Frage. Wenn sie ihn hätte aufwecken wollen, dann hätte sie das schon längst getan. Sie wollte nicht, dass er von mir erfuhr, vielleicht wegen des »Videobandes«, vielleicht aber auch aus anderen Gründen. Der Versuch, mich auszuschalten, war ein kalkuliertes Risiko gewesen. Dann hätte sie hinterher nur ihre Version erzählen können.
Die Stelle an meinem Kopf, wo sie mich getroffen hatte, pochte dumpf. Ich hob ihre Handtasche auf, um sie vor ihr in Sicherheit zu bringen. Belghazi stöhnte schon wieder. Ich brauchte wenigstens ein paar Minuten, um ihn für die Injektion vorzubereiten, selbst wenn ich dabei nicht von meiner neuen Partnerin gestört wurde, und allem Anschein nach hatte ich nicht mehr genügend Zeit dafür.
»Ich hätte Sie gern unter anderen Umständen kennen gelernt«, sagte ich, rieb mir die schmerzende linke Schläfe und machte einen Schritt zur Tür.
»Wie wollen Sie an dem Bodyguard vorbeikommen?«, hörte ich sie sagen.
Das brachte mich aus dem Konzept. Ich hatte gedacht, die Männer wären gegangen, nachdem sie Belghazi in seine Suite gebracht hatten.
Ich richtete die Soldier-Vision auf die Wand und sah auf den Monitor. Tatsächlich: Direkt vor der Tür war ein menschlicher Umriss. Ach du Scheiße.
»Geben Sie mir das Band«, sagte sie, »dann schicke ich den Mann weg, und Sie können gehen.«
Ich schüttelte langsam den Kopf, suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, wie ich hier rauskommen konnte.
Wieder stieß Belghazi ein Ächzen aus. Sie schielte zu ihm hinüber, sah dann wieder zu mir.
»Hören Sie«, flüsterte sie beschwörend. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber offensichtlich sind Sie kein Freund von ihm. Jetzt wissen Sie, dass ich das auch nicht bin. Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen.«
»Vielleicht«, sagte ich und sah sie an.
»Aber Sie müssen mir vertrauen. Geben Sie mir das Video.«
Ich schüttelte wieder den Kopf. »Sie wissen, dass ich das nicht kann. An meiner Stelle würden Sie das auch nicht tun.«
Ihre Augen verengten sich leicht. »Ich glaube, es gibt überhaupt kein Video. Wenn er aufwacht, steht Ihr Wort gegen meins. Und ich verspreche Ihnen, er wird eher mir glauben als Ihnen.«
Ich zuckte die Achseln. »Was, wenn ich ihm sage, er soll das Bootlog seines Computers
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