Der Verrat
überprüfen? Ich bin sicher, dass Belghazi es aktiviert hat. Oder dass er sich Ihr Handy mal genauer ansieht?«
Darauf hatte sie keine Antwort.
»Aber es stimmt, dass wir uns gegenseitig helfen können«, sagte ich. »Und ich weiß auch wie. Ich werde mich wieder verstecken. Dann rufen Sie den Bodyguard rein und sagen, dass Belghazi anscheinend ernsthaft krank ist, sich übergeben hat und bewusstlos ist und dass er sofort ins Krankenhaus gebracht werden muss. Sie und der Bodyguard tragen ihn hier raus. In der Situation wird keiner die Suite durchsuchen. Sobald Sie weg sind, verschwinde ich. Danach können Sie das Video haben.«
Sie schwieg eine ganze Weile. Wenn ich hier erwischt wurde und Belghazi das »Video« in die Finger bekam, oder wenn ich ihm das mit dem Bootlog oder ihrem Handy verriet, dann war ihre Tarnung – welche auch immer – aufgeflogen, soviel war klar. Wenn ich dagegen mit dem »Video« verschwand, ging sie zwar ein Risiko ein, aber sie könnte damit durchkommen. Diese beiden Möglichkeiten waren ihr klar, und sie wusste, dass sie auch mir klar waren.
»Wie nehme ich Kontakt zu Ihnen auf?«, fragte ich und besiegelte damit den Deal.
Sie spitzte die Lippen, dann sagte sie: »Halten Sie morgen Abend nach acht im Kasino nach mir Ausschau.«
»Im Lisboa?«
»Nein, hier im Oriental.«
»Wie darf ich Sie nennen?«
Sie sah mich mit unterkühltem Zorn in den Augen an. »Delilah«, sagte sie.
Erneut stieß Belghazi ein Stöhnen aus. Ich nickte knapp und eilte zurück ins Bad. Ich nahm das Meisterstück heraus und hievte mich wieder unter das Waschbecken.
Einen Moment später hörte ich die Tür zur Suite aufgehen, gefolgt von einer leisen Unterhaltung auf Französisch. Delilahs Stimme und die eines Mannes. Ich hörte, dass die beiden ins Schlafzimmer kamen, wo sie versuchten, Belghazi aufzuwecken. Ein paar französische Worte verstand ich: »schlecht«, »Krankenhaus«, »Arzt«. Dann Belghazis Stimme, tief und benommen. » Non, non. Je vais bien. « Nein, nein, mir geht’s gut. Delilahs Stimme, die jetzt näher kam und ihn drängte, einen Arzt aufzusuchen. Weitere Einwände, ebenfalls näher.
Scheiße, er war aufgestanden, und sie kamen in meine Richtung. Ich zwang mich, ruhig zu bleiben, und atmete lautlos durch die Nase.
»Je vais bien« ,hörte ich ihn unmittelbar vor der Badezimmertür sagen. Seine Stimme klang jetzt fester. »Attendez une minute. « Ich hörte seine Füße leise über den Marmorboden schlurfen, näher kommen. Dann das Geräusch, wie ein Wasserhahn aufgedreht wurde und Wasser durch die Leitungen um mich herum floss. Ich wandte den Kopf und schaute nach unten. Ein Paar Füße standen vor dem Waschbecken. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich sie berühren können. Mir fielen an seinen Schienbeinen zwei kahle Stellen auf, wo die Haare dauerhaft abgerieben worden waren, und das leicht gekräuselte Aussehen der Schienbeinknochen
- beides typische Symptome bei Thaiboxern und anderen Anhängern extremer Kampfsportarten. Aufgrund der immer wiederkehrenden Schläge verstärken sich die Knochen, bis sie schließlich zu einer empfindungslosen und brutal harten Schlagfläche werden. In Belghazis Akte hatte irgendwas über Savate gestanden
- eine französische Variante des Kickboxens. Anscheinend war diese Information richtig.
Ich hörte, wie er sich Wasser ins Gesicht spritzte und dabei leise »merde« murmelte. Dann kam ein rhythmisches Zähneputzgeräusch – ein nachvollziehbares Bedürfnis.
Die Geräusche der Zahnbürste stockten. Das Wasser wurde wieder aufgedreht. Dann fiel etwas klappernd auf den Boden, direkt vor mich.
Ich drehte den Kopf und sah, was es war: Er hatte die Zahnbürste fallen lassen. Mist.
Mein Puls, der unter den gegebenen Umständen einigermaßen ruhig gewesen war, begann von einer Sekunde auf die andere zu rasen. Meinen Körper durchfuhr ein eisiger Adrenalinstoß. Ich fasste das Meisterstück fester. Ich atmete flach, leise. Mein Körper war absolut starr.
Belghazi ging in die Knie und griff nach der Zahnbürste. Ich sah sein kurzgeschnittenes Haar, den von einem Bruch vor langer Zeit leicht gekrümmten Nasenrücken, die Oberseite der vorstehenden Wangenknochen, seine Schultern und den Rücken, dick mit Muskeln bepackt, mit dunklen Haaren bedeckt.
Er musste nur den Blick heben und würde mich sehen.
Aber er tat es nicht. Seine Finger schlossen sich um die Zahnbürste, und er richtete sich wieder auf. Einen Moment später hörte das Wasser auf zu
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