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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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laufen, und er verließ das Bad.
    Wieder vernahm ich Stimmen aus dem Schlafzimmer, konnte aber nur wenig verstehen. Anscheinend war Belghazi fest entschlossen, nicht zum Arzt zu gehen. Himmel, ich würde die ganze Nacht unter dem Waschbecken verbringen müssen.
    Ich hörte Delilahs Stimme. Das Wort »médecine« .Die Tür zur Suite öffnete und schloss sich.
    Zwei Minuten verstrichen. In der Suite herrschte Stille. Dann erklang das Geräusch von rasch näher kommenden Schritten. Jemand stürmte ins Badezimmer und fegte an mir vorbei in die Toilettenkabine. Die Kabinentür knallte zu, und unmittelbar darauf war Belghazis Würgen zu hören.
     
    Ich nahm Delilahs leichteren Schritt wahr. Sie kam geradewegs auf das Waschbecken zu und ging in die Hocke, so dass sie mich sehen konnte. Sie hatte sich offenbar überlegt, dass hier das einzige vernünftige Versteck war. Erneut nötigte sie mir Respekt ab.
    »Ich hab den Bodyguard ein Medikament holen geschickt«, flüsterte sie. »Das ist Ihre einzige Chance.«
    Ohne ein weiteres Wort rollte ich mich unter dem Waschtisch hervor. Hinter der Toilettentür würgte Belghazi erneut. Ich nickte Delilah zu und lief zum Ausgang. Sie folgte mir auf den Fersen. Vor der Tür blieb ich stehen und vergewisserte mich mit der Soldier-Vision, dass der Korridor menschenleer war.
    Ich schob mich hinaus auf den leeren Gang. Ohne ein weiteres Wort schloss sie die Tür hinter mir.

3
    ICH HATTE SCHON FAST EIN JAHR in Brasilien gelebt, als sie mich schließlich fanden. An dem Tag hatte es geregnet und der Himmel war mit düsteren, tiefen Wolken bedeckt, die an Rios atemberaubenden Felsklippen hingen wie der Rauch von irgendeinem in weiter Ferne geschehenen Unglück.
    Nach meinem Abschied von Tatsu hatte ich in Tokio die letzten Vorbereitungen getroffenen, damit »Yamada-san« nach São Paulo abreisen konnte – das eiskalte Alter Ego, das ich als Notausstieg für den Tag entwickelt hatte, an dem es meinen Feinden gelingen würde, mich in Japan aufzuspüren. Was schließlich auch passierte. In São Paulo leben etwa sechshunderttausend Brasilianer japanischer Abstammung. Es ist die größte japanische Gemeinde außerhalb Japans und der passende Ort, um leicht unterzutauchen.
    Yamada fand eine ansprechende Wohnung in Aclimação, einer Wohngegend ganz in der Nähe von São Paulos Japanerviertel »Liberdade«. Von dort aus unternahm er die nötigen Schritte, um sein neues Geschäft zu gründen – Export hochwertiger und preisgünstiger brasilianischer Judo- und Jiu-Jitsu-Anzüge nach Japan –, ein Geschäft, das er bei günstiger Entwicklung eines Tages vielleicht noch ausbauen würde. Viele seiner Nachbarn waren koreanischer oder chinesischer Herkunft, was Yamada nur recht war, weil die vielen unterschiedlichen asiatischen Gesichtszüge es ihm leichter machen würden, in der Menge unterzutauchen. Ein eindeutig japanisches Umfeld, wie beispielsweise in Liberdade selbst, hätte diesen Vorteil zwar auch geboten, wäre aber zugleich problematisch gewesen, weil japanische Nachbarn eher dazu geneigt hätten, ausführlich nach seiner Herkunft zu fragen und hinterher über ihn zu reden. Wenn es sich einmal doch nicht vermeiden ließ, japanischen Nachbarn ein wenig über seine Vergangenheit. zu erzählen, erklärte Yamada stets, er sei ein einfacher Büroangestellter aus Tokio, dem die doppelte Schande widerfahren war, zuerst von einem der japanischen Elektronikgiganten entlassen und anschließend nach zwanzig Jahre Ehe von seiner Frau verlassen zu werden, weil er ihr nicht mehr das Leben bieten konnte, das sie erwartete. Es war eine traurige, aber in diesen schweren wirtschaftlichen Zeiten nicht ungewöhnliche Geschichte, und wenn Yamadas Nachbarn sein Klagelied hörten, nickten sie nur verständnisvoll mit typisch japanischer Zurückhaltung und fragten nicht weiter nach.
    Yamada lernte wie ein Besessener Portugiesisch – mit der Hilfe von Tonbandkassetten, Privatlehrern, Fernsehen, Musik, Filmen, selbst einer Reihe von Frauen aus dem horizontalen Gewerbe, weil Yamada wusste, dass es keine natürlichere oder erfolgreichere Form des Spracherwerbs gibt als die, das Kopfkissen zu teilen. Alle paar Wochen ging er auf Reisen, um sich mit seinem neuen Heimatland vertraut zu machen: dem riesigen Cerrado, der Ebene in Zentralbrasilien mit einer Hand voll Pionierstädtchen und langsam aussterbenden Indianerstämmen; Brasilia, die bizarre Stadt vom Reißbrett, wie von Außerirdischen als Nachbau einer irdischen

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