Der Verrat
Hand und holte mit der rechten behutsam meinen Schlüsselbund heraus, an dem sich ein Dentalspiegel befand. Ich schlich leise zum Türspalt und drehte den Spiegel so, dass sich das Schlafzimmer der Suite darin spiegelte.
Sie war es, wie ich mir schon gedacht hatte. Offenbar hatte sie einen eigenen Schlüssel.
Ich verzog das Gesicht. Schlechtes Timing. Zehn Minuten später und alles wäre vorbei gewesen.
Ich beobachtete, wie sie Belghazi einen Stoß gab, dann noch einen, fester. »Achille?«, wiederholte sie. Diesmal kam nicht mal mehr ein Stöhnen als Antwort.
Ich sah, wie sie tief einatmete, die Luft einen Moment anhielt und dann wieder ausstieß, das Kinn dabei senkte und die Schultern hängen ließ. Dann ging sie rasch und leise zu einem der Lichtschalter und machte die Deckenlampe aus. Jetzt wurde der Raum nur noch von dem Lichtschein erhellt, der von Gebäuden und Straßenlampen draußen hereinfiel. Ich beobachtete, wie sie kurz zu den geschlossenen Gazevorhängen des Zimmers hinübersah.
Sie eilte an den Schreibtisch gegenüber vom Bett. Darauf lag Belghazis Computertasche, mit der ich ihn in der Hotellobby und später im Kasino gesehen hatte. Interessant.
Sie öffnete die Tasche und holte einen dünnen Laptop heraus, den sie aufklappte. Dann ging sie zum Bett, nahm vorsichtig ein Kissen neben Belghazis Kopf, trat damit wieder an den Schreibtisch und legte das Kissen über die Tastatur des Laptops. Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, was sie da tat: Sie dämpfte die Melodie oder sonstigen Klänge, mit denen das Betriebssystem zum Leben erwachte. Eine geschickte Maßnahme, die auf weise Voraussicht und vielleicht auch einige Erfahrung schließen ließ. Sie konnte ja nicht wissen, auf welche Lautstärke Belghazi das Gerät zuletzt eingestellt hatte.
Nach wenigen Minuten tauchte das Windows-Logo auf dem Bildschirm auf, begleitet von den entsprechenden Tönen, die unter dem aufgedrückten Daunenkissen kaum zu hören waren. Die Frau wartete einen Moment, dann nahm sie das Kissen weg und legte es wieder auf seinen alten Platz auf dem Bett. Mir fiel auf, dass sie es nicht einfach auf den Boden warf oder sonst wie beiseite legte. Sie achtete also darauf, das Zimmer genau so zu belassen, wie sie es vorgefunden hatte. Noch ein Zeichen dafür, dass sie gute Instinkte hatte oder gut ausgebildet war – oder beides.
Die Frau ging zurück zum Schreibtisch und holte ein Handy aus ihrer Tasche. Sie verwandte einen Moment darauf, es irgendwie zu konfigurieren, dann richtete sie es auf den Laptop und fing an, auf den Tasten herumzudrücken.
Etliche Minuten vergingen. Sie tippte mehrfach irgendwelche Sequenzen in das Telefon ein, betrachtete dann ein paar Sekunden lang den Laptop und wiederholte den Vorgang. Gelegentlich warf sie einen Blick zu Belghazi hinüber. Ich konnte die ganze Zeit über den Monitor des Laptops sehen, und der hatte sich nicht verändert. Ich nahm an, dass der Computer passwortgeschützt war, dass ihr Handy mehr als nur ein Handy war und dass sie damit über Infrarot oder Bluetooth den Laptop abfragte, höchstwahrscheinlich, um das Passwort zu finden oder sonst wie reinzukommen.
Fünf Minuten vergingen, dann weitere fünf. Nicht mehr lange, und Belghazi hätte genug von der Droge abgebaut, um wieder zu sich zu kommen. Weitere fünf Minuten, höchstens zehn, und ich würde die Sache abbrechen müssen.
Aber wie? Das Rauskommen würde wohl kein Problem sein. Belghazi wäre nicht in der Verfassung, mich aufzuhalten, selbst wenn er bei meinem Abgang schon wieder voll bei Bewusstsein wäre, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Frau ein ernst zu nehmendes Hindernis sein würde. Aber wenn Belghazi mich sah, zumal er zuvor im Lisboa meine Bekanntschaft gemacht hatte, oder wenn die Frau ihm berichtete, dass ein Fremder im Zimmer gewesen war, würde ich danach mit noch schärferen Sicherheitsmaßnahmen konfrontiert werden. Und ein zweiter Versuch würde sich verflucht schwierig gestalten.
Ich hörte Belghazi stöhnen. Die Frau erstarrte und schaute zu ihm hinüber, aber er rührte sich nicht weiter. Dennoch, sie war wohl zu dem Schluss gekommen, dass er jeden Moment aufwachen könnte, denn gleich darauf steckte sie das Handy wieder in ihre Handtasche, stellte die Tasche auf den Boden und schaltete den Laptop aus, wobei sie wie zuvor das Kissen benutzte, um die Abschiedsfanfare zu dämpfen. Als der Bildschirm dunkel wurde, klappte sie den Deckel zu, schob den Laptop zurück in die Tasche,
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