Der Verrat
legte das Kissen wieder aufs Bett und begann, sich auszuziehen.
Verdammt.
Die Situation wurde immer schwieriger. Die Frau würde wohl kaum schnell genug einschlafen oder tief genug schlafen, dass ich mich unbemerkt davonschleichen konnte. Im Gegenteil, nach dem, was ich bisher mitbekommen hatte, würde sie wahrscheinlich einen ähnlich leichten Schlaf haben wie ich. Außerdem ließ die Sorgfalt, mit der sie arbeitete, vermuten, dass sie den Sicherheitsriegel innen an der Tür vorgelegt hatte und das vermutlich ganz bewusst, weshalb sie sich auch daran erinnern würde, wenn sie am Morgen sah, dass der Riegel geöffnet war. Dann würde sie wahrscheinlich eher folgern, dass jemand im Zimmer gewesen war, als ihr Gedächtnis in Frage zu stellen.
Alle beide töten? Unter den gegebenen Umständen wäre eine »natürliche Todesursache« damit ausgeschlossen. Und wie Kanezaki betont hatte, hing meine Bezahlung davon ab, dass es keinerlei Hinweise auf irgendwelche Fremdeinwirkung gab, deshalb würde ich offene Gewalt nur im Notfall einsetzen. Außerdem tue ich das, was ich tue, nicht mit Frauen und Kindern. In letzter Zeit hatte es eine Ausnahme gegeben, aber das war eine persönliche Angelegenheit gewesen. Derlei mildernde Umstände konnte ich mir bei Belghazis Begleiterin nicht einreden. Im Gegenteil, ich musste zugeben, dass mir die Frau gefiel. Nicht nur wegen ihres Aussehens. Es waren ihre Bewegungen, ihre Selbstbeherrschung, ihr sicheres Auftreten. Und ihr Instinkt und die Intelligenz, deren heimlicher Zeuge ich soeben geworden war.
Es gab eine Möglichkeit. Sie war riskant, aber zweifellos nicht schlimmer als die anderen Alternativen in meinem derzeit sehr begrenzten Handlungsspielraum.
Ich wartete, bis die Frau ganz ausgezogen war und sich am hilflosesten und verwundbarsten fühlen musste. Sie näherte sich gerade dem Bett und wollte sich wahrscheinlich hinlegen, als ich ins Schlafzimmer trat.
Sie fuhr zusammen, als sie mich sah, verlor aber nicht die Fassung. »Was zum Teufel machen Sie hier?«, fragte sie leise in einem Englisch, das irgendwie europäisch eingefärbt war. Sie betonte das »Sie« in der Frage und klang eher vorwurfsvoll als ängstlich.
»Sie kennen mich?«, flüsterte ich und dachte: Das gibt’s doch gar nicht.
»Aus dem Kasino. Und ich hab Sie im Hotel gesehen. Also, was machen Sie hier?«
Meine Güte, sie war genauso aufmerksam wie ich. »Hatten Sie Glück mit Belghazis Computer?«, fragte ich in dem Versuch, die Kontrolle zurückzugewinnen. Mein Blick war starr auf ihren Oberkörper gerichtet, der Bereich, den ich immer im Auge behalte, nachdem ich mich vergewissert habe, dass die Hände leer sind, weil aggressive Bewegungen meist im mittleren Körperbereich ihren Anfang nehmen. In diesem Fall jedoch war der Anblick irritierend. Nackt sah sie nämlich noch besser aus als in den schwarzen Designersachen, in denen ich sie früher am Abend gesehen hatte.
Sie behielt einen kühlen Kopf. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Ich hielt die Soldier-Vision hoch, die ich noch immer am Handgelenk trug und bluffte: »Ach nein? Ich habe alles aufgenommen, mit der lichtempfindlichen Kamera hier.«
Sie warf einen Blick auf das Gerät, sah dann wieder mich an. »Mit einer Soldier-Vision? Ich wusste gar nicht, dass die Videoaufnahmen machen können.«
Verdammt, sie kannte sich mit der einschlägigen Hardware aus. Wer auch immer sie sein mochte, sie war gut, und ich durfte sie nicht länger unterschätzen. »Die hier schon«, entgegnete ich spontan. »Also, was halten Sie von einem Deal? Ich weiß nicht, für wen Sie arbeiten, und es ist mir auch egal. Was mich angeht, ist das alles hier nie passiert. Sie haben mich nicht gesehen, ich habe Sie nicht gesehen. Was halten Sie davon?«
Sie schwieg eine ganze Weile und schien sich ihrer Nacktheit gar nicht bewusst zu sein. Dann fragte sie: »Für wen arbeiten Sie?«
Ich lächelte. »Keine Fragen. Keine Antworten.«
Sie schwieg erneut. Einen Moment lang wanderte mein Blick etwas tiefer. Ihr Körper war schön: muskulös und weiblich zugleich, wie eine Eiskunstläuferin oder eine ungewöhnlich große Turnerin, mit zarter, blasser Haut, die in dem Licht, das matt durch die Vorhänge fiel, irgendwie zu leuchten schien.
Ich blickte wieder auf. Sie beobachtete meine Augen. »Wahrscheinlich ist das mit dem Videoband ein Bluff«, sagte sie mit ruhiger Stimme, »aber das Risiko kann ich nicht eingehen. Ich kann Sie nicht damit verschwinden lassen.«
Ihre
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