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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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schwarze Hose und schwarzes, schulterfreies Top, ihr Haar war zurückgebunden, und ich sah keinerlei Schmuck oder Make-up. Falls sie dadurch ihr gutes Aussehen herunterspielen wollte, war es ihr nicht sonderlich gut gelungen.
    Ich überprüfte die üblichen Gefahrenpunkte, bemerkte aber nichts Alarmierendes. Bislang schien ich mit meiner Einschätzung, dass sie nichts Unüberlegtes tun würde, richtig zu liegen. Aber es war noch zu früh, um das mit Sicherheit sagen zu können. Schließlich war das Kasino mit seinen Kameras, Wachleuten und sonstigen Sicherheitsvorkehrungen ein denkbar schlechter Ort für einen Hinterhalt. Ein Angriff, wenn er denn geplant war, würde später kommen.
    Ich kaufte einen Stapel Chips und nahm neben ihr Platz.
    »Ein bisschen früh für Baccarat«, sagte ich und meinte, früh für unsere Verabredung, aber es konnte ja sein, dass jemand am Tisch Englisch verstand.
    »Das gilt wohl für uns beide«, entgegnete sie, setzte ihre Chips auf den Spieler und warf mir einen Seitenblick zu.
    Ich lächelte, setzte dann auf die Bank. »Ich komme nicht gern zu spät. Dann sind die meisten Plätze schon besetzt, und man hat schlechtere Gewinnchancen.«
    Sie erwiderte das Lächeln, und ich blickte ihr zum ersten Mal richtig in die Augen. Sie waren tiefblau, fast kobaltblau, und sie schienen mich nicht nur anzusehen, sondern auch abzuschätzen, mit Intelligenz und sogar ein wenig Humor.
    »Ja, je früher desto besser«, sagte sie. »Gut, dass das nicht jedem klar ist. Ansonsten könnte man dem großen Ansturm ja nie zuvorkommen.«
    Ich registrierte, dass ihr Englisch zwar nicht akzentfrei war, aber absolut fließend und sicher. Sie musste es in jungen Jahren gelernt haben, um so natürlich sprechen zu können, aber den Akzent war sie nicht völlig losgeworden.
    Der Bankhalter verteilte die Karten. Dann drehte er sie um. Delilah hatte gewonnen, ich verloren. Sie nahm ihre Chips an sich, ohne mich anzusehen, machte aber keinen Versuch, ihr Lächeln zu verbergen.
    Ich wollte mit ihr irgendwohin, wo wir uns unterhalten konnten. Das Kasino war ein guter Ausgangspunkt, weil es uns einen relativ sicheren, neutralen Boden bot. Außerdem lieferte es automatisch eine gute Tarnung: Falls uns hier jemand sah, zum Beispiel Belghazi, würde es so aussehen, als hätten wir uns zufällig getroffen, nachdem wir getrennt gekommen waren, um ein paar Runden Baccarat oder Craps zu spielen. Ein Ecktisch in einer Bar oder eine schattige Parkbank oder ein Spaziergang im Hafen hätte keinen dieser Vorteile geboten. Aber hier am Baccarat-Tisch würden wir nicht weiterkommen. Außerdem verlor ich Geld.
    »Ich hätte Lust, etwas trinken zu gehen«, sagte ich. »Sie auch?«
    Sie sah mich kurz an und sagte dann: »Gern.«
    Wir nahmen den Ausgang zur Straße. Sobald wir außer Hörweite der wenigen Kasinogäste waren, sagte sie: »Nicht die Hotelbar. Da kennt man mich zu gut. Wir nehmen vor dem Hotel ein Taxi und fahren irgendwo anders hin. Ziemlich unwahrscheinlich, dass einer meiner Bekannten gerade jetzt da auftaucht, aber falls doch: Wir sind uns im Kasino des Mandarin begegnet. Da war nichts los. Ich habe erwähnt, dass ich ins Lisboa wollte. Sie haben gefragt, ob es mich stören würde, wenn wir zusammen ein Taxi nehmen. Okay?«
    Ich war beeindruckt, aber nicht verblüfft. Sie war es offensichtlich gewohnt, operativ zu denken, und tat das genauso sachlich wie effektiv. Ich hatte mir ja bereits gedacht, dass sie gut ausgebildet worden war. Zu dieser Erkenntnis fügte ich jetzt noch mehrere Jahre Einsatzerfahrung hinzu.
    »Okay«, sagte ich.
    Wir fuhren zum Oparium Café, einem Lokal, das ich in der Nähe des neuen Macau Cultural Center auf der Avenida Baia Nova entdeckt hatte, während ich auf Belghazi wartete und die Stadt erkundete. Im Erdgeschoss trat eine ohrenbetäubend laute Band auf, die eine Art Acid-Funk spielte, und ein Haufen tauber Teenager wirbelten im Rhythmus herum. Kein Laden, in dem man einen Ortsunkundigen erwarten würde, erst recht keinen, der eher so etwas wie die Macau Suite im Mandarin Oriental goutierte.
    Wir gingen in den ersten Stock, wo es dunkler und leiser war, und nahmen an einem Ecktisch in zwei überdimensionalen Sesseln Platz. Die anderen Sitzgelegenheiten bestanden überwiegend aus Sofas. In manchen saßen Pärchen, einige eng miteinander verschlungen, was das Halbdunkel nur zum Teil verbarg. Eine hübsche portugiesische Kellnerin brachte uns die Getränkekarte, die auf Chinesisch und

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