Der Verrat
etwas Zeit zum Nachdenken zu verschaffen.
»Ist schon komisch. So etwas Ähnliches hab ich mich bei Ihnen auch gefragt«, sagte ich. »Zum Beispiel: ›Wieso hat sie sich nicht einfach den Computer geschnappt und ist damit abgehauen?‹«
Sie lächelte schwach, vielleicht, um mir in diesem Punkt Recht zu geben.
»Lassen Sie mich raten«, fuhr ich fort. »Falls Belghazi merken würde, dass die Informationen auf seinem Computer ausspioniert wurden, würde er Gegenmaßnahmen ergreifen. Nein, ich muss mich korrigieren. Denn wenn Sie sich nur wegen Belghazi Gedanken machen würden, dann würden Sie ihn einfach selbst außer Gefecht setzen und in aller Ruhe mit dem Computer davonspazieren. Also ist er nicht der Einzige, der Gegenmaßnahmen ergreifen könnte, falls herauskäme, dass sein Computer ausspioniert worden ist. Es gibt andere, Einzelpersonen oder Organisationen, die von den Informationen betroffen sind, auf die Sie es abgesehen haben. Deshalb dürfen sie auch nicht wissen, dass Sie an die Informationen herangekommen sind. Liege ich da ungefähr richtig? Vielleicht muss also nicht nur ich möglichst ›unauffällig‹ zu Werke gehen.«
Sie legte den Kopf leicht schräg, als ob ich endlich mal was Interessantes gesagt hätte. »Ja«, sagte sie. »Stehlen ist leicht. Stehlen, ohne dass das Opfer merkt, dass es beraubt wurde, das erfordert einiges an Können.«
Die Kellnerin brachte unsere Caipirinhas in geeisten Gläsern und entfernte sich wieder. Delilah nahm ihren Drink und trank einen tiefen Schluck. »Genau wie bei Ihnen«, fuhr sie fort. »Töten ist leicht. Aber töten und es wie etwas anderes aussehen lassen? Dazu wäre einige … Kunstfertigkeit vonnöten.«
Wir schwiegen eine ganze Weile, und jeder dachte darüber nach, was der andere gesagt hatte.
Schließlich sagte sie: »Ich finde, unsere Positionen sind spiegelbildlich. Vielleicht können wir uns ja gegenseitig helfen.«
»Ich glaube, ich verstehe nicht ganz«, erwiderte ich, obwohl ich mir denken konnte, was sie meinte.
Sie zuckte die Achseln. »Ihre Anwesenheit erschwert meine Aufgabe. Meine Anwesenheit erschwert Ihre Aufgabe. Spiegelbilder.«
»Ihr Spiegel scheint mir etwas verzerrt«, sagte ich und trank einen Schluck Caipirinha. »Sollte Ihnen etwas zustoßen, würde Belghazi misstrauisch. Oder aber sein Ableben wäre weit weniger ›unauffällig‹. Sollte dagegen mir etwas zustoßen …«
Ihr Lächeln wurde breiter, und ich musste an Tatsu denken, wenn er sich darüber freute, dass ich einen Gedanken geäußert hatte, von dem er geglaubt hatte, ich würde nicht darauf kommen. Und ich wusste, dass ihr dieser Fehler in ihrer »Spiegelbildtheorie« völlig klar war.
»Ja«, sagte sie, »das stimmt. Als ich die Situation mit meinen Leuten besprochen habe, führten sie dasselbe Argument an. Einige waren dafür, ein Team herzuschicken, um Sie auszuschalten.«
»Haben Sie ihnen gesagt, sie sollten sich hinten anstellen?«
Sie lachte. »Ich habe ihnen gesagt, dass ich ein derart offensives Vorgehen für falsch halte. Als Sie ins Kasino kamen, habe ich gesehen, wie Sie den Raum abgecheckt haben. Ich sehe, wie Sie sich ständig nach hinten absichern. Selbst diesen Tisch hier haben Sie ausgesucht, weil er in einer Ecke ist und Sie mit dem Rücken zur Wand sitzen können.«
»Sie aber auch.«
»Sie wussten, dass ich mich nicht mit dem Rücken zur Treppe setzen würde, vor allem nicht, wo Sie das Café ausgesucht hatten. Es war ein Kompromiss.«
»Stimmt.«
»Auf jeden Fall merkt man Ihnen an, dass Sie erfahren und kompetent sind, auch wenn Sie es ganz geschickt verbergen können. Ich habe meinen Leuten gesagt, dass es nicht leicht werden würde, Sie auszuschalten, und dass es wahrscheinlich ziemlich viel Aufsehen erregen würde. Und dadurch könnte Belghazi misstrauisch werden. Er hat sehr wache Instinkte, wie Sie vermutlich wissen. Ich bezweifle, dass überhaupt schon mal jemand so nah an ihn rangekommen ist wie Sie.«
»Doch, Sie.«
Sie lächelte, und ich sah wieder den Schlafzimmerblick. »Ich habe andere Möglichkeiten als Sie.« Sie trank einen kleinen Schluck Caipirinha. »Deshalb finde ich, dass meine Einschätzung unserer Positionen zutreffend ist.«
»Also gut. Was schlagen Sie vor?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich habe meinen Leuten gesagt, dass Maßnahmen gegen Sie nur eine Notlösung wären, die wir aber nicht ausschließen können, falls Sie darauf bestehen, sich unvernünftig zu verhalten. Falls Sie uns keine andere Wahl
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