Der Verrat
sagte sie.
Ich lächelte, weil ich ungefähr mit so was gerechnet hatte. »Eigentlich habe ich eine ganz gute Meinung von mir«, sagt ich. »Aber ich habe gesehen, wie Sie Belghazi umgarnen, und der ist cleverer als die meisten. Ich weiß, was Sie anrichten können, und ich will, dass Sie aufhören, es bei mir zu versuchen. Vorausgesetzt natürlich, Sie können überhaupt aufhören. Oder sind Sie schon so lange in dieser Rolle, dass sie Ihnen in Fleisch und Blut übergegangen ist?«
Zum ersten Mal sah ich, wie sie ein wenig die Fassung verlor. Ihr Kopf ruckte, ja zuckte beinahe ein wenig zurück, und ihre Pupillen weiteten sich, was mir verriet, dass sie gerade eine kleine Portion Adrenalin freigesetzt hatte.
»Also, was wollen Sie dann?«, fragte sie nach einem Moment. Ihr Gesichtsausdruck war neutral, aber ihre Augen blickten erbost und ihre Haltung war irgendwie steifer als kurz zuvor. Diese Kombination verlieh ihr ein unauffällig gefährliches Aussehen. Ich begriff, dass ich zum ersten Mal einen Eindruck von dem Menschen hinter der Maske bekam, dass ich zum ersten Mal die Chance hatte, mehr zu sehen als das, was sie mich sehen lassen wollte.
Das Verrückte dabei war, dass sie jetzt sogar noch besser aussah. Wie der erste Blick auf die wahre Schönheit einer Frau, nachdem sie ihr Make-up entfernt hat, der erste Blick auf eine Geisha, die ohne ihre rituelle weiße Theaterschminke nur noch hinreißender aussieht.
»Das gleiche, was Sie wollen«, erklärte ich. »Ich will verhindern, dass wir uns in die Quere kommen, während wir versuchen, unsere jeweiligen Jobs zu machen, und dabei beide getötet werden.«
»Und was ist unser Job?«
Ich lächelte. »Das ist ziemlich vertrackt, nicht?«, sagte ich.
»Sehr«, sagte sie. Ihre Miene sah nicht mehr nach Ich-binstinksauer-und-will-es-mir-nicht-anmerken-lassen aus, sondern war jetzt irgendwie reserviert und unergründlich. Ich wusste, dass meine Bemerkung sie aufgewühlt hatte, war mir aber nicht sicher, welchen wunden Punkt ich genau getroffen hatte. Dennoch war es bewundernswert, wie schnell sie sich davon erholt hatte.
»Fangen wir doch einfach mit dem an, was wir wissen«, sagte ich. »Sie wollen irgendetwas haben, was auf Belghazis Computer ist.«
Sie zog die Brauen hoch, sagte aber nichts. Und nun lag wieder dieser Anflug von unerklärlichem Amüsement in ihren Augen.
»Aber Sie haben es noch nicht«, fuhr ich fort. »Belghazi hat seinen Computer die ganze Zeit bei sich. Als Sie endlich mal die Chance hatten, konnten Sie das Passwort nicht knacken.«
»Wir sollten über die anderen Dinge reden, die wir wissen«, sagte sie.
»Ja bitte?«
»Zum Beispiel, was Sie von Belghazi wollen.«
Ich zuckte die Achseln. »Bei mir geht es um was anderes. Was auf seinem Computer ist, interessiert mich nicht.«
»Ja, sein Computer hat Sie anscheinend wirklich nicht interessiert. Sie waren mehr an Belghazi selbst interessiert.«
Ich sagte nichts. Es hätte keinen Vorteil gebracht, ihre Vermutungen zu bestätigen.
»Und er war direkt vor Ihrer Nase. Bewusstlos. Hilflos. Ich habe mich gefragt, ›Warum ist dieser Mann gegangen, ohne das zu Ende zu bringen, was er vorhatte?‹«
»Sie wissen nicht, was ich vorhatte«, sagte ich, aber natürlich wusste sie es.
»Sie haben mich niedergestoßen, und ich war offensichtlich nicht bewaffnet«, sagte sie und fixierte mich. »Ich hätte Sie nicht abhalten können. Und das wussten Sie. Aber Sie haben nicht weitergemacht.«
Ich zuckte die Achseln, suchte nach einer Möglichkeit, sie abzulenken. »Vielleicht wollte ich ja einer nackten Frau nicht wehtun«, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin in meinem Leben schon einigen knallharten Männern begegnet, die ohne jeden Skrupel handeln. Den Typ erkenne ich.«
»Ich hatte nicht mit Ihnen gerechnet. Sie haben mich erschreckt.«
Sie lächelte, und ich wusste, dass ich sie nicht von ihrer Ansicht abgebracht hatte. »Kann sein. Aber vielleicht muss Ihre ›Angelegenheit‹ mit Belghazi möglichst … unauffällig geklärt werden. Damit keiner merkt, dass überhaupt eine Angelegenheit geklärt wurde. Und als auf einmal noch jemand im Zimmer war, ging das nicht mehr.«
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie diese Schlussfolgerungen ziehen würde. Normalerweise kann ich mich ganz gut in andere hineinversetzen und ihre nächsten Schritte vorausahnen. Aber diesmal hatte sie mich ausgepunktet. Höchste Zeit, wieder ein wenig die Initiative zu übernehmen und mir selbst
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