Der Verrat
taucht dieser Blick häufiger auf dem Gesicht des »Fußgängers« auf, der durch die Windschutzscheibe eines Autos späht, das gerade einen bekannten Checkpoint passiert, die Stirn gerunzelt, die Augen hart, während er in der unbewussten Freude über das Erkennen leicht nickt, um dann seinen Kumpanen fünfzig Meter weiter über Funk durchzugeben, sie sollen sich für die Entführung bereit machen oder ihre Maschinengewehre in Anschlag bringen oder die Bombe detonieren lassen, die sie am Straßenrand gelegt haben.
Hintergrundschutz für Belghazi, vielleicht. Zur Beobachtung der Hoteleingänge, um alles Ungewöhnliche und eventuell Verdächtige zu melden.
Aber mein Instinkt sagte mir etwas anderes. Und ich glaube nichts und niemandem so sehr wie meinem Instinkt.
Delilah, dachte ich. Ich spürte eine heiße Wut in mir aufsteigen. Ich werde nicht oft reingelegt, aber sie hatte es geschafft. Sie hatte mich in dem Glauben gewiegt, dass sich unsere Interessen deckten.
Aber sie deckten sich ja wirklich – das war der springende Punkt. Was sie mir gesagt hatte, war plausibel. Sich gegen mich zu wenden, anstatt darauf zu vertrauen, dass ich wie versprochen warten würde, war unnötig riskant. Und selbst wenn sie beschlossen hätte, dieses Risiko einzugehen, wäre sie ganz sicher nicht so plump vorgegangen. Ein Nichtasiate, der in der Hotellobby steht und bei meinem Auftauchen Stielaugen bekommt und vor Aufregung rot anläuft? Keiner aus ihrem Team. Sie war gut, und sie wusste, dass ich gut war. Niemals hätte sie eine derart durchsichtige Annäherung an die Zielperson zugelassen.
Aber vielleicht war mir etwas entgangen. Ich war nicht sicher.
Lass gut sein. Kümmere dich um das akute Problem.
Okay. Keiko und ich gingen lächelnd und munter plaudernd weiter, ein glückliches Touristenpärchen, das nur Augen füreinander hat. Ich hätte mich umdrehen und mit Keiko durch den Hintereingang verschwinden können, aber dann hätte der Späher möglicherweise Verdacht geschöpft, dass ich doch nicht so ahnungslos war, wie er glaubte. Und dieser Irrglaube könnte mir später gute Dienste leisten. Außerdem ging ich nicht davon aus, dass sie hier in der Öffentlichkeit gegen mich aktiv werden würden, falls sie das überhaupt vorhatten. Macau ist schließlich eine Halbinsel, und ihnen wäre ein Schauplatz mit besseren Fluchtmöglichkeiten bestimmt lieber. Also ging ich ungerührt weiter Pachtung Haupteingang, wo wir für die kurze Fahrt zum Terminal der Fähre ein Taxi nahmen.
Wir erreichten das Terminal und stiegen aus. Vor dem Gebäude sah ich nichts, was mein Radarsystem beunruhigte. Auch nicht in der Lobby im Erdgeschoss. Aber wenn man hier jemanden abfangen wollte, würde man sich im ersten Stock postieren, wo die Passagiere an Bord gingen. Um festzustellen, ob jemand nach Hongkong übersetzen wollte, war die Abfahrtslounge die einzige echte Engstelle im gesamten Gebäude.
Und genau dort entdeckte ich den zweiten Mann, wieder ein Araber, diesmal ein bärtiger Riese mit der Statur eines Football-Spielers. Er trug ein teuer aussehendes Sakko und eine Sonnenbrille, und er stand etwas abseits neben einem der Geldautomaten in der Wartehalle, der ihm sowohl ein wenig Deckung bot als auch eine gute Sicht über den Abfahrtsbereich. Wieder ließ ich mir nicht anmerken, dass mir irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen war.
Die Araber hoben sich dermaßen von ihrem Umfeld ab, dass ich mich sogar fragte, ob sie vielleicht eine gezielte Ablenkung darstellten – Lockvögel, die den eigentlichen und in diesem Fall asiatischen Akteuren Tarnung boten. Möglich, so befand ich, aber nicht wahrscheinlich. Es gab sonst niemanden, den mein innerer Radar als bedrohlich einstufte. Und diese Leute nur für den kleinen Vorteil der Ablenkung extra von irgendwoher einfliegen zu lassen hätte in keinem Verhältnis zum Kosten- und Zeitaufwand gestanden. Nein, mein Instinkt sagte mir, dass das anstehende Problem wahrscheinlich nicht mehr und nicht weniger war als das, was mir gleich ins Auge sprang. Klar, diese Burschen fielen sofort auf. Sie trauten mir einfach nicht zu, dass ich diese Auffälligkeit als ungemein wichtig einstufen und dementsprechend reagieren würde. Sie waren sich nicht darüber im Klaren, wie ich ihre relative Sichtbarkeit deuten würde. Ihr Pech.
Die Fahrt nach Hongkong dauerte eine Stunde. An Bord waren weder irgendwelche nahöstlichen Typen noch sonst wer, der mein Misstrauen geweckt hätte.
Im Shun-Tak-Terminal in Hongkong
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