Der Verrat
Warenangebots als vielmehr wegen seiner Aufmachung. Die Fassade war voll verglast und bot eine ungehinderte Sicht auf die Straße. Keiko und ich sahen uns in der Seiden- und Kaschmirabteilung um, und ich beobachtete, wie Sonnenbrille und zwei frisch eingetroffene Kollegen sich draußen postierten – zwei vor der HSBC Bank, der andere vor dem Juweliergeschäft Folli Follie.
Bei dem Aufgebot beschlich mich allmählich das Gefühl, dass sie nicht mehr bloß im »Beschatten« -Modus waren. Sonst hätten sie sich kaum so dicht zusammen postiert – was nämlich für eine Überwachung ungeeignet war, aber gewisse Vorteile bot, wenn man zuschlagen wollte. Sie machten sich bereit, bereit zum Angriff, und sie wollten ihre Kräfte konzentrieren, um sie im richtigen Augenblick gezielt einzusetzen.
Also gut, es war Zeit, dass ich rausging. Allein.
Ich trat zu Keiko und fasste sie sanft am Arm.
»Keiko, hör mir mal gut zu. Es ist etwas Schlimmes im Gange. Ich sage dir jetzt, was du wissen musst, um hier heil rauszukommen.«
Sie schüttelte kurz den Kopf, als wollte sie einen klaren Gedanken fassen. »Wie bitte?«
»Ich werde von einigen Männern verfolgt. Der Araber mit dem Handy ist einer von ihnen. Sie wollen mich überfallen. Und wenn du bei mir bleibst, bist du auch in Gefahr.«
Sie lächelte unsicher, als hoffte sie, dass ich ebenfalls lächeln und ihr versichern würde, dass alles bloß ein Scherz war. »Entschuldige«, sagte sie, »aber ich … ich verstehe nicht.« Ihr Lächeln wurde für einen Moment intensiver, verlor sich dann.
»Ich weiß, dass du das nicht verstehst, und ich hab keine Zeit, es dir zu erklären. Hier, nimm das.« Ich reichte ihr den Umschlag. »Das Geld reicht dicke für den Rückflug nach Japan. Du hast deinen Pass dabei. Fahr zum Flughafen und sieh zu, dass du nach Hause kommst.«
»Bist du … liegt es daran, dass du nicht mit mir zufrieden bist?«, fragte sie. Sie dachte wie ein Profi. Aber sie war nun mal in einer anderen Branche als ich.
»Ich war sehr zufrieden mit dir. Sieh mich an. Ich sage die Wahrheit. Du musst sofort hier weg, damit dir nichts passiert. Die sind hinter mir her. Du interessierst sie nicht.« Ehe sie eine weitere Frage stellen konnte, fügte ich hinzu: »Du tust Folgendes: Du bleibst noch zehn Minuten hier. Ich werde jetzt gehen, und die Männer werden mir folgen. Nach zehn Minuten gehst du auch. Geh in eins von den Damengeschäften in der Nähe. Sag den Verkäuferinnen, du wirst von einem Mann belästigt und willst ihn abschütteln. Er hat dich verfolgt und wartet draußen auf dich. Sie werden dich hinten rauslassen, und damit rechnen die Männer nicht. Wenn es im ersten Laden nicht funktioniert, versuch’s im nächsten.«
»Ich weiß nicht –«
»Hör zu. Fahr etliche Male mit dem Taxi. Geh in Geschäfte, in denen Männer nichts verloren haben – Dessous oder so was in der Art. Das macht es schwerer, dir zu folgen, ich glaube nämlich nicht, dass die Burschen mit Frauen zusammenarbeiten. Geh vorn rein und hinten wieder raus. Nimm häufig den Fahrstuhl. Es ist schwierig, jemanden unbemerkt im Fahrstuhl zu beschatten. Bleib immer in der Öffentlichkeit.«
Sie schüttelte den Kopf. »Warum sind die … ich verstehe nicht –«
»Ich glaube nicht, dass dir überhaupt jemand folgen wird. Du bist für sie uninteressant. Aber ich will auf Nummer sicher gehen, verstehst du? Alles andere ist zu riskant. Wenn du genau weißt, dass dir niemand folgt, fahr zum Flughafen und nimm den erstbesten Flug. Nach Japan. Nach Hause. Dort bist du in Sicherheit.«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Ich hab … ich hab noch Sachen im Hotel. Ich kann nicht einfach so abreisen.«
»Wenn du ins Hotel zurückgehst, werden sie deine Spur aufnehmen und dir folgen, weil sie hoffen, dass du sie zu mir führst.«
»Aber –«
»Deine Sachen sind es nicht wert, für sie zu sterben, Keiko. Oder doch?«
Ihre Augen wurden groß.
»Oder doch?«, fragte ich noch einmal.
Sie schüttelte den Kopf. Ob fassungslos oder um Einverständnis zu signalisieren, wusste ich nicht.
Ich wollte gehen, aber eines musste ich ihr noch begreiflich machen. »Keiko«, sagte ich und sah sie eindringlich an, »in einigen Minuten oder in einer Stunde kommt dir dieses Gespräch bestimmt ganz unwirklich vor. Du wirst dir einreden, dass ich das alles nur erfunden habe, um dich loszuwerden, so was in der Art. Du wirst mit dem Gedanken spielen, zurück ins Mandarin zu gehen und nach mir zu suchen. Ich werde nicht
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