Der Verrat
Verdächtigungen schützen würden: Belghazi erfährt, dass sie mit mir in der Bar war. Sie erklärt, sie habe sich gelangweilt, weil er so oft weg ist. Sie hat meine Einladung in die Bar angenommen, dann aber die Lust verloren. Und sie hat ihn angelogen, weil sie nicht wollte, dass er eifersüchtig wird oder schlecht von ihr denkt. Sie würde etwas Harmloses gestehen, um das wirkliche Verbrechen zu verschleiern.
Oh ja, sie war gut. Etwas Besseres war mir seit langer Zeit nicht mehr begegnet.
»Ich gehe zuerst«, sagte sie und stand auf. Sie brauchte es nicht zu erklären. Wir wollten nicht zusammen gesehen werden. Sie wollte ihre Handtasche öffnen.
»Gehen Sie nur«, sagt ich. »Ich übernehme das.«
Sie hob eine Augenbraue. »Unser erstes Rendezvous?« Sie sagte das mit ihrem sympathischen trockenen Humor, ohne die Kokette zu spielen.
Ich lächelte sie an. »Vielleicht sollten Sie doch lieber selbst zahlen. Ich möchte nicht, dass Sie einen falschen Eindruck bekommen.«
Sie blickte mich einen Moment lang an, als überlegte sie, ob sie darauf antworten sollte. Doch dann lächelte sie nur, drehte sich um und ging. Ich stellte mir vor, wie sie durch die Fenster im Erdgeschoss die Straße absuchte, ehe sie durch die Tür nach draußen trat.
Ich trank meinen Caipirinha aus. Die Pärchen auf den Sofas schmusten weiter, und ich konnte ihr leises Lachen über die Musik aus dem Erdgeschoss hinweg hören.
Ich zahlte die Rechnung und ging. Ich fragte mich, ob Keiko wohl im Hotelzimmer auf mich wartete.
Seltsamerweise hoffte ich, die Antwort wäre nein.
5
DIE FOLGENDEN ZWEI TAGE vertrieben Keiko und ich uns die Zeit wie Touristen. Wir besichtigten Coloane Village und Taipu. Wir fuhren auf den Macau Tower. Wir besuchten portugiesische Kirchen und Nationalmuseen. Wir spielten im Floating Casino. Keiko schien ihren Spaß zu haben, aber sie war ja eine Professionelle, daher war ich mir nie so ganz sicher.
Ich merkte, dass ich auf einmal den Wunsch hatte, auf die Tarnung verzichten zu können, die Keiko mir bot. Sie war liebenswert, aber so sehr ich auch an ihrem Körper Gefallen fand, ihre Gesellschaft ermüdete mich allmählich. Außerdem behagte es mir nicht, dass sowohl Belghazi als auch Delilah wussten, dass ich im Mandarin wohnte. Das Risiko war noch hinnehmbar: Belghazi konnte unmöglich ahnen, dass ich für ihn eine Bedrohung darstellte, und Delilah hatte Grund, nicht gegen mich aktiv zu werden, zumindest vorläufig. Darüber hinaus war das Risiko unvermeidlich: Falls Belghazi irgendwie mitbekam, dass ich abgereist war, mich aber dann wieder in Macau sah, würde ihm das komisch vorkommen, verdächtig. Ich wusste, dass er auf solche Ungereimtheiten geeicht war. Also musste ich bleiben, wo ich war, und einfach nur besonders wachsam sein.
Zweimal nahmen wir die Turbojet-Fähre nach Hongkong. Ich gab Keiko Geld, damit sie nach Herzenslust in den Boutiquen stöbern konnte, ein kleines Trostpflaster für meine Distanziertheit der letzten Tage. Während sie ihren Einkaufsbummel machte, schlenderte ich herum, beobachtete und übte die Hongkong-Persönlichkeit ein, die mir half, hier und in Macau mit der Umgebung zu verschmelzen: Gang, Haltung, Kleidung, Mimik. Ich kaufte eine rezeptfreie Brille, ein randloses, elegantes Design, das man überall in Hongkong, aber nur selten in Japan sieht. Ich besorgte mir eine von diesen praktischen Aktentaschen, die so viele Männer in Hongkong ständig bei sich tragen und die wohl zur kulturellen Identität der Stadt gehört, ihrer unablässigen Bereitschaft, Geschäfte zu machen. Ich kaufte Klamotten in kleinen Läden. Ich war mir ziemlich sicher, dass mich jeder für einen Einheimischen halten würde, solange ich nicht den Mund aufmachte.
Als wir zu unserem zweiten Ausflug nach Hongkong aufbrechen wollten und durch die Lobby des Macau Mandarin Oriental gingen, fiel mir ein Araber auf. Er war neu, keiner von Belghazis Bodyguards. Ich registrierte seine Anwesenheit und seine Position, ließ mir aber natürlich nicht anmerken, dass er irgendwie in mein Bewusstsein gedrungen war. Er dagegen war weit weniger diskret. In dem Moment, als mein Blick über sein Gesicht glitt, sah ich, dass er mich aufmerksam, beinahe konzentriert betrachtete. So wie jemand unter harmloseren Umständen einen Fremden mustern würde, weil er ihn für einen Promi hält, sich aber nicht ganz sicher ist, und er sich nicht zum Narren machen möchte, indem er den Falschen um ein Autogramm bittet. In meiner Welt
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