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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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Verlassen Sie Macau.«
    Eine Finte? Ein Versuch, mich loszuwerden? Möglich. Aber wenn sie wirklich einen ihrer Verbündeten in meinem Zimmer postiert hatte, dann könnte ihn ihre Warnung leicht das Leben kosten, wovon Verbündete normalerweise nicht begeistert sind. Und wenn das Zimmer leer war, würde ich das natürlich merken und wissen, dass sie versucht hatte, mich auszutricksen.
    »Es käme Ihren Interessen entgegen, wenn ich einfach abreise«, sagte ich. »Deshalb verstehen Sie sicher, dass ich Ihre Motive bezweifele.«
    »Mir ist egal, was Sie über meine Motive denken. Ich hätte Sie einfach in Ihr Zimmer marschieren lassen können. Dann würden Sie nicht abreisen, dann würden Sie hier rausgetragen. Meinen Interessen käme beides entgegen. Also machen Sie, was Sie wollen. Ich muss jetzt gehen.«
    Sie stand auf und ging auf die Fahrstühle zu.
    »Warten Sie«, sagte ich und folgte ihr.
    Sie achtete nicht auf mich und blieb erst vor den Fahrstühlen stehen. »Ich will nicht mit Ihnen gesehen werden«, sagte sie. »Verschwinden Sie einfach.«
    »Hören Sie«, setzte ich an. Ich hörte das »Pling« des ankommenden Fahrstuhls, und wir blickten beide auf. Die Türen öffneten sich.
    Ein weiterer Araber. Sein Blick fiel auf uns. Er sah mir ins Gesicht, dann sah er Delilah an. Er erstarrte. Sein Unterkiefer klappte herunter.
    Er hatte mich eindeutig erkannt. Und er hatte ebenso eindeutig gesehen, dass ich mit Delilah geplaudert hatte. Die Art, wie er von ihr zu mir schaute – er stellte eine Verbindung zwischen uns her.
    Er machte einen Schritt zurück in die Fahrstuhlkabine. Seine Hand griff nach den Etagenknöpfen.
    Es ging alles sehr schnell. Ich überlegte nicht, dachte nicht an das Risiko. Ich sprang in den Fahrstuhl und stieß ihn gegen die Rückwand. Sein Kopf knallte gegen die Holztäfelung und wippte wieder nach vorn. Durch den Rückprall bekam er seine Arme hoch und packte mich. Ich tat es ihm gleich, fasste seine Schultern und rammte ihm ein Knie in den Schritt. Er kippte mit einem lauten Ächzen nach vorn. Ich trat hinter ihn und schlang ihm meinen linken Arm zu einem Hadaka-jime um den Hals. Meine Ellbogenbeuge presste sich auf seine Luftröhre, mein Bizeps quetschte seine Halsschlagader ab. Mit der linken Hand umfasste ich meinen rechten Oberarm, legte die rechte Hand an seinen Hinterkopf und drückte fest zu. Er wehrte sich noch etwa drei Sekunden lang heftig, dann wurde er schlaff, weil die Blutzufuhr zu seinem Gehirn unterbrochen war.
    Delilah war mit uns in den Fahrstuhl getreten. Die Türen schlossen sich – sie hatte wohl den entsprechenden Knopf gedrückt. »Fünf«, sagte ich. »Die Fünf drücken.«
    Sie tat wie geheißen. Aber vielleicht war sie ja mit in den Fahrstuhl gekommen, um dem Kerl zu helfen, und hatte dann gezögert, weil sie sah, dass es unmöglich war? Ich war mir nicht sicher.
    Sobald die Türen geschlossen waren, lockerte ich den Würgegriff und wuchtete mir seinen schlaffen Körper auf die Schulter. Wenn wir jetzt gesehen wurden und unsere Sache gut machten, würde vermutlich jeder denken, dass ich bloß einen sinnlos betrunkenen Freund zu seinem Zimmer trug. Kein ideales Szenario, aber weniger problematisch, als wenn man mich dabei sah, wie ich den Kerl, dessen Gesicht blau und verzerrt war, an den Füßen herausschleifte.
    »Das ist er«, sagte sie. »Der Mann, den ich in der Lobby belauscht habe.«
    Ich nickte. Vielleicht stimmte es. Vielleicht war er ja nervös geworden, als sich keiner bei ihm meldete und er niemanden telefonisch erreichen konnte, und er hatte beschlossen zu verschwinden.
    Zweiter Stock. Dritter. Vierter. Der Fahrstuhl hielt nirgends an.
    Die Türen glitten im fünften Stock auf. Wir traten nach draußen und gingen den Gang entlang. Noch immer niemand zu sehen.
    Ich spürte, wie die Gliedmaßen des Kerls anfingen, sich in myotonischen Zuckungen zu bewegen. So was passiert mitunter, wenn jemand aus einer Bewusstlosigkeit erwacht, die durch Unterbrechung der Blutzufuhr ausgelöst wurde. Ich hatte das einige Male beim Judotraining im Kodokan gesehen und erkannte die Anzeichen. Er würde gleich aufwachen. Mist.
    Ich lehnte mich vor und ließ ihn auf den Boden fallen. Seine Arme und Beine schlugen jetzt regelrecht, und die Augenlider flatterten.
    Ich trat hinter ihn und setzte ihn auf. Dann beugte ich mich über seine linke Seite, bis wir fast Brust an Brust waren, legte meinen rechten Arm von vorn nach hinten um seinen Hals, umfasste mein rechtes

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