Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
Vom Netzwerk:
setzen?«
    »Was verstehen Sie schon davon?«, fragte sie. Ihr Ton war ein wenig schneidend, und ich hatte den Verdacht, dass ich einen wunden Punkt getroffen hatte.
    Ich lächelte freundlich. »Ich habe für die USA in Vietnam gekämpft. Gegen« Gelbgesichter »und« Schlitzaugen ». Sehen Sie sich mein Gesicht an, Delilah.«
    Sie tat es.
    »Verstehen Sie, was ich meine?«, sagte ich. »Ich habe Jahre gebraucht, bis ich mir eingestehen konnte, warum ich zu einigen Dingen bereit war, die ich dort getan habe.«
    Sie nickte, leerte dann ihr Glas in einem Zug. »Ich verstehe. Ja, dann können Sie das wohl nachvollziehen.«
    »Aber sind sie das wert? Die schicken Sie zu diesen Einsätzen, die mit einem gewaltigen Risiko für Sie verbunden sind, Sie tun Ihre Arbeit und trotzdem vertraut man Ihnen nicht. Wozu das Ganze?«
    »Wozu das Ganze?«, fragte sie und legte den Kopf schief, als versuchte sie etwas in mir zu sehen, das ihr zuvor entgangen war. »Haben Sie je einen Säugling gesehen, dem eine Bombe die Beine abgerissen hat? Den seine Mutter in den Armen hält, halb wahnsinnig vor Trauer und Entsetzen?«
    Für die meisten Menschen war das eine rhetorische Frage. Für mich nicht.
    »Ja«, sagte ich leise. »Hab ich.«
    Sie stockte, sah mich an und sagte dann: »Nun, die Arbeit, die ich tue, verhindert ein paar dieser Alpträume. Wenn ich meinen Job gut mache, wenn wir den Zufluss von Geld und Material an diese Ungeheuer unterbinden können, die sich Westen mit Sprengstoff, Rattengift und Nägeln umschnallen, dann lebt ein Baby weiter, das sonst gestorben wäre, oder einer Familie bleibt es erspart, für den Rest ihres Lebens zu trauern, oder die eine oder andere Seele bleibt von dem Trauma verschont, das sie sonst zerstört hätte.«
    Sie holte kurz Atem und fügte dann hinzu: »Ich soll aufhören? Nur weil mir meine Vorgesetzten, die es eigentlich besser wissen müssten, nicht vertrauen? Ja, dann kann ich den Trauernden und den Amputierten und den unheilbar Traumatisierten sagen, dass ich zwar etwas hätte tun können, um sie zu retten, es aber nicht getan habe, weil man mich im Büro nicht respektvoll genug behandelt hat.«
    Sie sah mich an, ihre Wangen waren gerötet, und ihre Schultern hoben und senkten sich mit jedem Atemzug.
    Ich erwiderte ihren Blick und empfand eine seltsame Mischung aus Bewunderung, Anziehung und Scham. Ich nahm einen kräftigen Schluck Laphroaig, leerte mein Glas. Ich schenkte ihr neu ein, dann mir selbst.
    »Sie haben Glück«, sagte ich nach einem Moment.
    Sie blinzelte. »Wie bitte?«
    Ich schloss die Augen und rieb mir einen Moment die Schläfen. »Dass Sie so an etwas glauben können …« Ich öffnete die Augen. »Himmel, ich kann mir das nicht mal vorstellen.«
    Eine lange Pause trat ein. Dann sagte sie: »Es kommt mir nicht wie Glück vor.«
    »Nein, das glaube ich gern. Ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich meinte, Sie können von Glück sagen. Das ist etwas anderes.«
    Ich rieb mir wieder die Schläfen. »Was ich gesagt habe, tut mir Leid. Die Frage, wozu Sie das Ganze tun, meine ich. Im Laufe der Jahre habe ich mir angewöhnt, Verrat als … normal zu betrachten. Verrat und das Misstrauen, das mit ihm einhergeht. Und vielleicht stimmt das für mich ja auch. Aber es sollte nicht für jeden stimmen. Es sollte nicht für jemanden wie Sie stimmen.«
    Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Dann fragte sie: »Was denken Sie gerade?«
    Ich wartete eine Sekunde und sagte: »Dass es mir gefällt, wie Sie beim Sprechen die Hände bewegen.« Ein kleiner Teil der Wahrheit.
    Sie blickte kurz auf ihre Hände hinunter, als wollte sie nachsehen, ob sie irgendwie in Bewegung waren, und lachte leise. »Das tu ich normalerweise nicht. Sie haben mich sauer gemacht.«
    »Aber Sie haben es nicht nur gemacht, als Sie sauer waren.«
    »Oh. Na ja, ich mache das, wenn ich mich vergesse.«
    »Wann passiert das denn?«
    »Selten.«
    »Sie sollten es öfter tun.«
    »Das ist gefährlich.«
    »Warum?«
    »Sie wissen, warum. Man muss sich schützen.«
    Ihr Gesichtsausdruck war so neutral, dass sie ihn ganz sicher bewusst kontrollierte. Sie trank einen Schluck Laphroaig und fragte: »Und Sie? Was machen Sie?«
    »Ich halte Abstand.«
    »Wie ich vorhin sagte, den Luxus habe ich nicht.«
    Ich sagte: »Ich hab das nie als Luxus empfunden.«
    Sie sah mir in die Augen. Der Blick war auffallend lang. Eindeutig offen. Möglicherweise einladend.
    Ich stand auf und setzte mich neben sie auf die Couch. Sie hob eine

Weitere Kostenlose Bücher