Der Verrat
ich wusste nicht mal, was das bedeutete. Aber es erregte mich. Und ich wurde verlegen, weil er mir nicht geantwortet hatte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, deshalb fächelte ich mir ein wenig Luft ins Gesicht und sagte:« Ganz schön heiß hier drin! », und das war es plötzlich auch. Noch immer sagte er nichts, er sah mich nur mit einem ganz merkwürdigen Gesichtsausdruck an – lächelnd, aber fast ein wenig kränklich, als hätte er Schmerzen und wollte es sich nicht anmerken lassen –, und ich sah, dass seine Hände zitterten. Dass er mir keine Antwort gab, machte mich nervös, deshalb sagte ich, nur um irgendwas zu sagen:« Ist nicht schlimm, wenn du nicht schwimmen gehen willst », und ich merkte, dass meine Stimme so zittrig war wie seine Hände.
Seine Lippen bewegten sich, aber es kam kein Wort heraus. Dann hob er die Hand und berührte meine Wange mit den Fingerrücken. Ich war überrascht und machte rasch einen Schritt zurück. Er ließ die Hand sinken und entschuldigte sich sofort. Ich wusste nicht, was er damit sagen wollte oder warum ich zurückgetreten war. In dem Moment wusste ich nur eines: Ich wollte, dass er mich berührte, wollte es mehr als alles andere, und, ohne zu überlegen, nahm ich seine Hände und sagte:« Nein, nein, das ist in Ordnung! »Da schaute er mich aus seinen schönen dunklen Augen an und küsste mich. Es war mein erster richtiger Kuss, und ich hatte das Gefühl, ich würde vor lauter Wonne ohnmächtig werden. Ich hörte mich selbst in seinen Mund stöhnen, und auch er stöhnte. Und weißt du was? Als er seine Hände auf meinen Körper legte, nur auf Hüften und Brüste, kam ich. Auch das war für mich das erste Mal – ich wusste nicht mal, was da mit mir geschah, ich konnte nicht atmen, ich spürte nur diese Explosion von Lust, und dann sackte ich gegen ihn und weinte. Er hielt mich in den Armen, streichelte mein Haar und sagte immer und immer wieder, dass es ihm Leid tue. Ich konnte nicht sprechen, sondern schüttelte nur die ganze Zeit den Kopf und weinte, weil es so wunderbar war, weil er so wunderbar war.«
Ich lächelte und hätte gern geglaubt, dass die Geschichte wahr war, dass sie mir mehr von dem Menschen hinter der Fassade der »Blenderin« zeigte, wie sie sich selbst genannt hatte. Vielleicht war sie es ja wirklich. Dov war immerhin, auch wenn es ein Pseudonym war, ein israelischer Name. Aus ihren wenigen Zeitangaben schloss ich, dass der Krieg, in dem er sich hervorgetan hatte, der Sechstagekrieg gewesen sein musste. Die Stadt am Meer? Tel Aviv? Eilat?
Vielleicht war es aber auch eine Geschichte, die sie schon so oft erzählt hatte, dass sie inzwischen selbst dran glaubte. Vielleicht sollte sie mit dazu beitragen, dass ich mich innerlich an sie band, dass meine Objektivität getrübt, mein Urteilsvermögen verzerrt wurde.
Aber all diese unerwünschten Möglichkeiten konnte ich mir später noch in Erinnerung rufen. Ich sah nicht ein, warum ich gerade jetzt darauf rumreiten sollte.
»Habt ihr miteinander geschlafen?«, fragte ich.
»Nein. Damals nicht. Aber er hätte es tun können. Er hätte alles mit mir machen können.«
»Was ist danach passiert?«
Sie lächelte. »Wir haben uns gegenseitig versprochen, dass es nie wieder passieren würde, dass es falsch sei, weil er so viel älter war und weil es eine Katastrophe gegeben hätte, wenn meine Eltern was spitzgekriegt hätten. Aber wir konnten einfach nicht voneinander lassen. Mein Bruder war damals beim Militär, und er wurde in demselben Jahr getötet. Ich glaube, ohne Dov wäre ich nicht darüber hinweggekommen. Er kannte den Krieg und hatte selbst schon viele Verluste überstanden. Er war der Einzige, der mich trösten konnte.«
»Das muss furchtbar gewesen sein für deine Eltern.«
»Sie waren am Boden zerstört. Viele hielten diesen Krieg für falsch, und deshalb hatten meine Eltern das Gefühl: ›Unser wunderbarer Sohn ist gestorben, und wofür?‹ Es war nicht so, wie wenn man jemand in den anderen Kriegen verloren hatte, von denen alle wussten, dass sie uns aufgezwungen worden waren. Es war eher … einfach nur sinnlos. Verstehst du, was ich meine?«
Sie konnte eigentlich nur den Libanon meinen. Falls sie sich das alles bloß ausdachte, dann war das eine ziemlich überzeugende Lüge.
Ich blickte weg und musste an meinen ersten Heimaturlaub von Vietnam denken. Wenn unsere durchschnittlichen amerikanischen Landsleute damals erfuhren, dass man im Krieg gewesen war, konnte man bestenfalls
Weitere Kostenlose Bücher