Der Verrat
werden.
»Haben die Ihnen erklärt, warum sie wollen, dass Belghazi von der Bildfläche verschwindet?«, wollte sie wissen.
»Ja.«
»Haben Sie ihnen geglaubt?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich hab nicht richtig hingehört.«
Sie lachte. »Die haben Ihnen doch bestimmt was von Waffennetzwerken erzählt, von Terroristen, Querverbindungen zwischen Fundamentalistengruppen und so ’n Zeug.«
Ihr geringschätziger Unterton verblüffte mich, und ich musste lachen. »Wieso, war das gelogen?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Das entspricht alles der Wahrheit. Und ich bin davon überzeugt, dass Teile der US-Regierung darüber sehr aufgebracht sind und vielleicht sogar etwas dagegen unternehmen wollen. Wie gesagt, Teile.«
»Das soll heißen?«
Sie lächelte und sagte: »Übrigens, ich weiß noch nicht mal Ihren Namen.«
Ich sah sie an und sagte: »Nennen Sie mich John.«
»Also gut, John«, sagte sie, als wollte sie den Klang testen.
»Sie waren gerade bei ›Teile‹.«
Sie zuckte die Achseln. »Sagen wir einfach, dass Amerika ein sehr großes Land ist. Mit sehr vielen gegensätzlichen Interessen. Und vielleicht halten ja nicht alle Belghazi für einen bösen Buben.«
»Was bedeutet?«
»Haben Sie sich schon mal gefragt, warum Sie Ihren Auftrag so ›unauffällig‹ ausführen sollen?«
»Ich kann’s mir ungefähr vorstellen.«
»Also gut, denken Sie mal über Folgendes nach.« Sie beugte sich vor und hob die Hände mit gespreizten Fingern und nach vorn gerichteten Handflächen, als wollte sie ein Bild umrahmen. »Die Gruppe, die Sie engagiert hat, will sich bedeckt halten. Die müssen jede Verbindung abstreiten können. Aber wem gegenüber müssen sie etwas abstreiten? Und haben Sie sich überlegt, in welche Position Sie das bringt?«
Die relativ ausgeprägte Körpersprache war neu. Ich sah jetzt einen anderen Teil ihrer Persönlichkeit, vielleicht einen Teil, den sie normalerweise versteckt hielt. Interessant.
Ich dachte kurz nach. »In die gleiche Position, in der ich immer bin, würde ich sagen.«
»Qualitativ vielleicht«, sagte sie und schwenkte eine Hand nach unten, als würde sie, vielleicht unbewusst, meine Äußerung abtun. »Aber quantitativ könnte die Situation schlechter sein. Was glauben Sie, wer den Mann im Fahrstuhl geschickt hat?«
Ich hielt inne, sagte mir insgeheim: Ich hob schon fast gedacht, du wärst es gewesen. Stattdessen antwortete ich: »Keine Ahnung.«
Das Handschwenken hörte auf, und sie stieß den Zeigefinger in die Luft. »Genau. Eine unbekannte Anzahl von Mitspielern könnte inzwischen versuchen, Sie auszuschalten. Jeder, der in irgendeiner Weise von Belghazis Treiben profitiert.«
Oder der ihn so lange am Leben halten will, bis er an seinen Computer rangekommen ist, dachte ich. Vielleicht erzählte sie mir das alles nur, um mich von ihrer Fährte abzubringen. Vielleicht übertrieb sie aber auch die Aussichtslosigkeit meiner Lage, damit ich aufgab. Vielleicht.
»Ich hab schon immer gewusst, dass man in dieser Branche kaum einen Beliebtheitspreis gewinnt«, sagte ich.
Sie lachte. Ich griff nach der Flasche und füllte zuerst ihr Glas auf, dann meins.
Ihr Lachen gefiel mir. Es war eine seltsame Mischung aus Unvereinbarkeiten: heiser, aber auch weiblich in seiner Zurückhaltung, mit seinem hellen Timbre irgendwie auch mädchenhaft, durchsetzt mit einem Hauch Ironie, der aber eher auf einen Sinn fürs Absurde schließen ließ als auf Sarkasmus oder Häme. Ich lächelte, fühlte mich wohl und merkte, dass mir der Whiskey ein wenig zu Kopf stieg.
Sie lehnte sich zurück und trank einen Schluck. Ich tat es ihr nach.
»Sie wissen nur eins«, sagte sie, »dass jemand es auf Sie abgesehen hat. Ist Ihnen klar, was das für mich bedeutet? Jemand könnte die Verbindung herstellen. Und ich arbeite nicht so wie Sie. Ich habe nicht den Luxus, mich verstecken zu können. Um meine Arbeit zu tun, muss ich nah rankommen und nah dran bleiben.«
Jetzt kam also ein Appell an mein Mitgefühl. Ein zweifacher Ansatz: Logik, um mir zu verdeutlichen, dass sich die Situation geändert hatte und ich meine Mission nicht mehr zu Ende führen konnte; Gefühl, um mir zu verdeutlichen, dass sie den Preis dafür zahlen müsste, wenn ich trotzdem weitermachte.
»Mir ist klar, was Sie sagen wollen«, erwiderte ich. »Aber mir ist auch klar, wo Sie stehen. Und Letzteres lässt mich an Ersterem zweifeln.«
Dass ich das sagen musste, machte mich ein bisschen traurig. Die Situation war so
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