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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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wusste, dass ich einen bestimmten Verdacht hegte, was ihre Nationalität und ihren Auftraggeber betraf. Vor diesem Hintergrund war ihre Aussage auch so etwas wie ein stillschweigendes Eingeständnis.
    Ich überlegte, wie ich diese kleine Bresche nutzen könnte, die sie offenbar ganz bewusst selbst geschlagen hatte. Ich sagte: »Krav Maga. Sehr praxisbezogen.«
    »Kommt ganz drauf an, wie es gelehrt wird«, sagte sie und nickte. »Und wie man trainiert. Die meisten Kampfsportarten werden ja fast wie Religionen unterrichtet. Da geht’s nur um Glauben, nicht um Fakten.«
    Ich lächelte. »Menschen müssen an etwas glauben, selbst wenn sie es erfinden müssen.«
    Sie nickte erneut. »Selbst wenn es falsch ist. Aber diesen Luxus haben wir nicht. Wir brauchen etwas, das funktioniert.«
    Wir. Sie bereitete sich darauf vor, mir etwas zu erzählen.
    Jetzt bloß nicht drängen. Lass sie ihren eigenen Rhythmus finden.
    »Wie sind Sie ausgebildet worden?«, fragte ich.
    »Das wissen Sie doch. Konditionierung durch möglichst realistische Szenarien. Viel Körperkontakt. Einmal hab ich mir die Nase gebrochen, sehen Sie? Sie ist wieder gerichtet worden, aber die Narbe ist noch zu erkennen, wenn man genau hinsieht.«
    Ich tat es und sah eine haarfeine Linie auf dem Nasenrücken, die letzte Spur eines bösen Bruchs, der von einem guten plastischen Chirurgen repariert worden war. Kaum wahrnehmbar, wenn man nicht drauf achtete.
    »Klingt ziemlich hart«, sagte ich.
    »War es auch. Mich haben sie besonders hart rangenommen, weil meine Aufträge speziell sind. Ich bin lange Zeit allein im Einsatz, meistens ohne Zugriff zu einer Waffe, zumindest keiner herkömmlichen Waffe.«
    Wir schwiegen wieder. Sie nahm einen Schluck Laphroaig und fragte: »Und Sie?«
    »Hauptsächlich Kodokan«, sagte ich. Wenn sie in Krav Maga ausgebildet war, müsste ihr der Name was sagen.
    Sie sah mich an. »Ich dachte, Halswürgegriffe seien im Judo verboten.«
    Sie kannte sich also wirklich aus. »Sind sie auch«, bestätigte ich. »Die spezielleren Sachen lerne ich woanders. Bücher und Videos. Früher habe ich mit einigen Partnern geübt, die ähnliche Interessen hatten wie ich.«
    »Was sonst noch?«, fragte sie. »Die Art, wie Sie sich bewegen, so was lernt man nicht, wenn man Judo rein sportlich betreibt. Auch nicht mit zusätzlichen Büchern und Videos.«
    »Stimmt. Rund zehn Jahre Kampferfahrung sind nicht zu unterschätzen. Dabei entwickelt man eine bestimmte Grundhaltung.«
    Wieder Schweigen. Dann sagte sie: »Dann sind Sie also der, für den ich Sie halte?«
    Ich zuckte die Achseln. »Ich glaube, Sie wissen jedenfalls einiges über mich.«
    »Tja, Sie wissen auch so einiges über mich.«
    Na bitte, jetzt kommt’s. »Sie sind Israelin«, sagte ich. »Mossad.«
    Sie schaute weg und neigte leicht den Kopf, als müsste sie meine Vermutung abwägen, gründlich darüber nachdenken. Dann sagte sie: »Was spielt es für eine Rolle, wer ich bin, für wen ich arbeite? Aus Ihrer Perspektive doch gar keine.«
    Sie würde es mir nicht sagen, ich hatte mich getäuscht. Oder vielleicht hatte sie es mir auf ihre indirekte Weise ja schon gesagt, und es war mir entgangen. Ich wusste es nicht.
    Wieder trank sie einen kleinen Schluck Laphroaig, dann sprach sie weiter. »Aber aus meiner Sicht spielen Ihre Auftraggeber eine große Rolle. Die Informationen, die wir über Sie sammeln konnten, deuten darauf hin, dass Sie für die Japanische Liberaldemokratische Partei arbeiten. Aber ich kann mir nicht vorstellen, was für ein Interesse die LDP an Belghazi haben könnte. Daher vermute ich, dass Sie zumindest diesmal von den Amerikanern bezahlt werden. Und das bereitet mir Kopfzerbrechen.«
    »Warum?«
    Sie streckte beide Hände von sich, Handflächen nach oben, als wollte sie sagen: Das ist doch wohl offensichtlich! »Die sind groß und zersplittert«, sagte sie, »und demzufolge nicht diskret. Bei ihnen muss man vorsichtig sein. Man weiß nie so genau, mit wem man es zu tun hat.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Jetzt stützte sie die Hände auf die Hüften, lehnte sich auf der Couch zurück und ließ die Schultern hängen. Die Geste signalisierte: Ist er so naiv, oder tut er bloß so? Dann fing sie an zu reden. Sie hatte sich wohl für die erste Möglichkeit entschieden. Eigentlich müsste mich das nicht weiter stören – im Gegenteil –, aber es wurmte mich doch ein bisschen. Um meinen Stolz zu retten, rief ich mir in Erinnerung, dass es immer gut ist, unterschätzt zu

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