Der Verrat
mich angemeldet hatte. »Wir glauben, ein Mann sucht nach Ihnen. Offenbar in einer polizeilichen Angelegenheit. Er hat gesagt, es sei wichtig, dass Sie sich bei ihm melden. Er hat diese Telefonnummer hinterlassen.« Er reichte mir einen Zettel.
Ich nickte, bemüht, mein Befremden nicht allzu deutlich zu zeigen, und nahm den Zettel. »Ich verstehe nicht ganz. Wieso haben Sie mich nicht verständigt?«
»Es tut mir sehr Leid, Sir. Aber der Mann wusste nicht mal Ihren Namen. Er hat nur hier an der Rezeption ein Foto hinterlegt. Und gerade eben, als die Rezeptionistin Sie sah, hat sie gemerkt, dass Sie der fragliche Gentleman sein könnten.«
»Ist das alles? Mehr hat er nicht gesagt? Hat der Mann seinen Namen genannt?«
Er schüttelte den Kopf. »Es tut mir Leid.«
»Darf ich das Foto mal sehen?«
»Selbstverständlich.« Er griff unter die Empfangstheke und holte ein Bild hervor, das ich sofort als vorzügliche Computerarbeit erkannte – ein digitalisiertes Porträt von mir. Das Gesicht auf dem Foto war nicht gerade mein Ebenbild, aber die Ähnlichkeit war unverkennbar.
Ich dankte ihnen, zahlte die Rechnung und ging, wobei ich die Lobby noch genauer als bei meiner Ankunft überprüfte. Es schien alles in Ordnung zu sein.
Ich fragte mich die ganze Zeit, wie zum Teufel mir jemand auf die Spur gekommen war und wer das sein könnte. Das Gefühl, dass dir einer so dicht auf den Fersen ist, wo du dich doch sauber gewähnt hattest, ist höchst unangenehm.
Als ich sicher war, dass mir niemand folgte, suchte ich mir eine Telefonzelle. Ich wählte die Nummer auf dem Zettel.
Das Telefon am anderen Ende klingelte zweimal. Dann dröhnte eine Stimme: »Moshi moshi! « Japanisch für hallo, aber mit einem starken nasalen Südstaatentonfall.
»Herrgott«, sagte ich. Dox.
»Na ja, manche Leute halten mich dafür, aber nein, ich bin einfach nur ich«, sagte er, nervtötend gut aufgelegt. »Hab ich das Japanische richtig hingekriegt?«
»Und wie, es klang perfekt.«
»Ach komm, das sagst du nur so. Aber trotzdem danke.«
»Was willst du?«
»Willst du nicht fragen, wie ich dich gefunden habe?«
»Nicht ehe ich dich wieder in einer Beinklemme habe.«
Er lachte. »Ich hab dir doch gesagt, das ist nicht nötig. Ich werd dir sagen, was du wissen willst. Höchstpersönlich.«
Ich überlegte und sagte dann: »In Ordnung.«
»Wo bist du jetzt? Noch immer im Hotel?«
Und da machte es bei mir Klick. Ich wusste, wie er es gemacht hatte.
»Ja«, sagte ich, um meine Theorie zu testen.
»Alles klar, okay, gut. Dann komm ich zu dir. Aber hör mal, ich kenn Hongkong nicht so gut. Wie komm ich da am besten hin?«
Ich schmunzelte. »Nimm ein Taxi.«
»Kein Problem. Aber gib mir ’ne Wegbeschreibung. Ich weiß immer gern, wo ich hinmuss.«
Natürlich. Ich hatte also Recht gehabt. »Sag dem Fahrer einfach den Namen des Hotels«, antwortete ich. »Ich bin sicher, er findet es.«
Es entstand eine Pause, und ich stellte mir vor, dass er ziemlich ratlos aus der Wäsche schaute. »Verdammt, wie hieß der Laden noch mal?« Er hielt sich tapfer.
Ich lachte und sagte nichts. Nach einem Moment sagte er: »Na schön, na schön, erwischt. Wir treffen uns da, wo du willst.«
»Wieso willst du dich überhaupt mit mir treffen?«
»Also gut, ich hab’s übertrieben. Ich wollte bloß mal sehen, ob ich dich übers Ohr hauen kann, aber du bist einfach zu clever. Trotzdem, das, was ich dir zu sagen habe, wird dich interessieren. Garantiert.«
Ich überlegte einen Moment. Natürlich wollte ich ihn treffen. Ich musste erfahren, was hier vor sich ging. Aber ich würde Vorsichtsmaßnahmen treffen müssen. Vorsichtsmaßnahmen, die sich für Dox als fatal erweisen könnten, falls die Dinge nicht so liefen, wie ich es wollte.
»Wo bist du jetzt?«, fragte ich.
»Ich sitz in einem Coffeeshop in Central und liebäugele mit einem Tisch süßer Chinesinnen. Ich glaube, ich gefalle ihnen.«
»Die wissen nur noch nichts von deiner Schwäche für Schafe«, sagte ich.
Er lachte. »Richtig, Partner, und ich zähle auf deine Diskretion.«
»Bleib, wo du bist. Ich ruf wieder an.«
»Was hast du vor?«
»Ich ruf wieder an«, sagte ich erneut und legte auf.
Wären wir in Tokio gewesen, hätte ich ihm sofort sagen können, wo und wie wir uns treffen würden. Ich hatte fünfundzwanzig Jahre Zeit gehabt, die Stadt zu studieren, und kannte Dutzende von geeigneten Treffpunkten. Aber Hongkong war mir längst nicht so vertraut. Ich musste erst ein wenig
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