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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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erwarten, dass sie höflich verlegen wurden und möglichst schnell das Thema wechselten. Und oft genug musste man sich auf wesentlich Unangenehmeres gefasst machen.
    Ich sagte. »Es ist grausam, wenn eine Gesellschaft ihre jungen Männer mit dem Auftrag zum Töten in einen Krieg schickt und ihnen dann bei der Heimkehr sagt, dass dieser Auftrag unmoralisch war. Wir haben in Vietnam das Gleiche getan.«
    Sie sah mich an und nickte. Wir schwiegen einen Moment. Ich fragte: »Wie ist es mit Dov weitergegangen?«
    Sie lächelte. »Er ist woanders hingezogen. Ich ging dann aufs College. Er hat jetzt eine Frau und zwei Söhne.«
    »Seht ihr euch noch?«
    Sie zuckte die Achseln. »Nicht sehr oft. Er hat seine Familie, ich meine Arbeit. Aber ab und zu.«
    »Deine Eltern haben nie davon erfahren?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Und er hat es nie seiner Frau erzählt. Er ist ein guter Mensch, aber wir können nicht anders. Da ist etwas zwischen uns, das ist einfach zu stark.«
    Ich nickte und sagte: »Die meisten Menschen können nur davon träumen, so eine Beziehung zu erleben.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch. »Wie sieht’s bei dir aus?«
    Ich schaute einen Moment weg, dachte an Midori. »Einmal, vielleicht.«
    »Was ist passiert?«
    Eigentlich nichts, hätte ich sagen können. Sie hat bloß rausgefunden, dass ich ihren Vater getötet hatte.
    »Sie war Zivilistin«, sagte ich ausweichend. »Sie war intelligent genug, um dahinter zu kommen, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, und auch intelligent genug, um zu wissen, dass unsere beiden Welten unvereinbar sind.«
    »Hast du nie daran gedacht, einen Ausweg aus deiner Welt zu suchen?«
    »Ständig.«
    »Aber es ist schwer, nicht?«
    Für uns gibt es kein Zuhause mehr, John. Nicht nach dem, was wir getan haben. Die Worte eines Philosophen, meines Blutsbruders Crazy Jake.
    Ich nickte und sagte, als spräche ich mit seinem Geist: »Es gibt Dinge, von denen man sich hinterher nicht mehr reinwaschen kann.«
    »Und was war das zwischen euch?«
    »Ich hab Mist gebaut. Sie verletzt.«
    »Nein. Ich meinte, das Gute.«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich und stellte mir für einen Moment ihr Gesicht vor, ihren Blick, wenn sie mich ansah. »Sie hatte so eine … Offenheit an sich. Bei allem, was sie tat. Ich konnte immer sehen, welche Gefühle ich bei ihr auslöste. Sie war lebensklug und gebildet, künstlerisch tätig, sogar einigermaßen bekannt, aber wenn ich mit ihr zusammen war, hatte ich irgendwie immer das Gefühl, dass ich den Menschen vor mir hatte, der sie früher gewesen war. Ihr wahres Ich, den Kern, den niemand sonst sehen konnte. Wir waren glücklich, weißt du? In gewisser Weise war das grotesk, und es erwischte mich völlig unvorbereitet, als es anfing. Ich glaube nicht, dass ich je zuvor schon mal etwas Vergleichbares erlebt hatte. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich es noch einmal erlebe. Sie glücklich zu machen …« Ich stockte, weil ich dachte, dass es sich kitschig anhören würde, aber dann sagte ich es trotzdem: »… hat mich glücklich gemacht.«
    »Und jetzt bist du nicht glücklich?«
    »Genau in diesem Moment? Ich fühl mich ziemlich gut.«
    Sie lächelte. »Und im Allgemeinen?«
    Ich zuckte die Achseln. »Ich bin jedenfalls nicht depressiv.«
    »Das ist eine ziemlich minimalistische Beschreibung von Glück.«
    »Es gibt Dinge, die mir Freude bereiten. Ein guter Single Malt, guter Jazz, das Gefühl, wenn ich beim Judo richtig im Fluss bin. Ein heißes Bad hinterher. Der Wechsel der Jahreszeiten. Der Duft von Kaffee, wenn er so geröstet wird, wie es sein sollte.«
    »Aber das sind alles nur Dinge.«
    Ich schwieg einen Moment und dachte nach. »Ja, überwiegend. Da hast du wohl Recht.«
    »Mir hat mal jemand gesagt: ›Wenn du nur für dich lebst, ist Sterben eine besonders beängstigende Perspektive.‹«
    Ich sah sie an, sagte aber nichts. Vielleicht hatte der Satz ins Schwarze getroffen.
    »Du hast kein Vertrauen«, sagte sie.
    »Nein.« Ich hielt inne, dann fragte ich: »Du etwa?«
    »Es fällt mir schwer. Aber ich glaube an manche Dinge. Anders könnte ich nicht leben.«
    Wir schwiegen eine Weile und hingen unseren Gedanken nach. Ich sagte: »Du kannst das nicht in alle Ewigkeit machen. Was kommt danach?«
    Sie lachte. »Du meinst, wenn meine ›Reize allmählich verschwinden‹? Ich weiß nicht. Und du?«
    Ich zuckte die Achseln. »Ich bin mir noch nicht sicher. Vielleicht setze ich mich irgendwo zur Ruhe. Wo es sonnig ist, vielleicht

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