Der Verrat
Gästen eindeutig fehl am Platz, aber das schien ihn nicht zu stören. Die Speisekarte war ausschließlich auf Chinesisch, aber ich kannte die Schriftzeichen und konnte ihm bei der Auswahl helfen.
»Was ist das?«, fragte Dox, als die Suppe gebracht wurde und wir mit dem Essen begannen. »Das schmeckt gut.«
»Und ist noch dazu gesund«, sagte ich. »Ein Trainer der chinesischen Olympialäufer hat die immer seinen Athleten zu essen gegeben.«
»Ach ja? Was ist denn drin?«
»Das Übliche. Quellwasser. Grünzeug. Schildkrötenblut und Raupenpilz.«
Er hielt inne, den Löffel auf halbem Weg zum Mund. »Im Ernst?«
»Das stand jedenfalls auf der Speisekarte.«
Er nickte nachdenklich. »Diese chinesischen Läufer sind flott. Wenn es für sie gut ist, kann’s mir ja wohl nicht schaden.« Und schlürfte den Rest grinsend in sich hinein.
Das wunderte mich nicht. Im Einsatz in Afghanistan hatte ich Dox schon so manche ungewohnte Kost verspeisen sehen. Und immer mit Genuss.
Als wir mit der Suppe fertig waren, bat ich ihn, mir zu erzählen, was los war.
»Also«, sagte er und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, was die mir alles beigebracht haben. Wie man Pässe fälscht, Computernetzwerke knackt, Schlösser, Briefe, Siegel … Und die haben mir noch dazu das passende Spielzeug mitgegeben. Ich habe einen fünfundzwanzigtausend Dollar Farblaserkopierer, Spezialpapier, verschiedene Tinten, Hologrammkits, Magnetstreifenkodierer – Mensch, Kumpel, ich könnte dir einen gefälschten Pass zaubern, da würdest du mit den Ohren schlackern! Wenn du was brauchst, musst du’s nur sagen.«
»Du bist doch nicht hergekommen, um dich mir als Passfälscher anzupreisen, oder?«, fragte ich.
Das schien ihn zu erheitern, und ich fragte mich, ob Dox zu dem Schluss gelangt war, dass meine gelegentlichen bissigen Bemerkungen in Wahrheit nett gemeint waren. Das wäre nämlich pervers.
»Ich hatte neulich ein ziemlich komisches Treffen mit einem Typen«, grinste er. »Der ist extra den weiten Weg nach Bangkok gekommen, wo ich mich gerade ein bisschen entspannt und erholt hab. Hat gesagt, er heißt Johnson. Aber sein richtiger Name ist Crawley. Charles Crawley. Der Dritte. Man stelle sich vor, da bleibt eine Familie bei so einem dämlichen Namen, wenn sie sich doch was viel Hübscheres hätten einfallen lassen können. Zum Beispiel Dox.«
»Wie hast du seinen richtigen Namen rausgefunden?«
Das Grinsen wurde breiter. »Ach Mann, ich hab gleich gerochen, dass der Junge lügt. Also hab ich so getan, als ob ich auf meinem Handy angerufen worden wäre, während wir plauderten. Und hab mit dem Handy ein Foto von ihm gemacht.«
Er hatte also eins von den Geräten mit eingebauter Digitalkamera. Früher musste man sich nur Sorgen machen, dass irgendein Amateurfilmer, der zufällig in der Nähe war, einen Camcorder dabei hat, wie bei der Ermordung von John F. Kennedy oder wie der Typ, der gefilmt hat, als ein paar Polizisten Rodney King zusammenschlugen. Heutzutage ist schon jeder Handybesitzer ein Risiko.
Ich zog das Gerät hervor, das ich ihm abgenommen hatte. »Mit dem hier?«, fragte ich.
Er nickte. »Na los, sieh’s dir an.«
Ich schaltete das Handy ein und wartete einen Moment, bis es betriebsbereit war. Ja, es war ein Sony Ericsson P900, neu und trendy, mit eingebauter Kamera und vielem anderem Schnickschnack. Ich gab es Dox. Er spielte kurz an den Knöpfen herum und reichte es mir zurück. Ich sah ein erstaunlich scharfes Bild von einem knapp über dreißig Jahre alten Weißen mit feinen Gesichtszügen, lockigem weizenblonden Haar, schmaler Nase und noch schmaleren Lippen. Das Bild war aus einem eigentümlichen und offenbar unauffälligen Winkel aufgenommen.
»Schmieriger kleiner Scheißer, nicht? Ich hab noch ein paar mehr, falls du sie sehen willst. Musst nur auf die Weiter-Taste drücken.«
Ich tat es, sah mir die übrigen Bilder an, die mir einen noch genaueren Eindruck von Crawleys Aussehen verschafften. Fotos sind nicht immer gute Porträts. Wenn man mehr als eins gesehen hat, erhöht sich die Chance, die betreffende Person wiederzuerkennen, wenn man ihr begegnet. Worauf ich plötzlich richtig Lust verspürte.
Als ich durch war, schaltete ich das Handy aus und gab es Dox zurück. Er lächelte noch immer. »Wenn du willst, kann ich dir die Bilder direkt auf dein Handy schicken«, sagte er. »Oder auf ein E-Mail-Konto. Was sag ich, wenn’s dir Spaß macht, stellen wir die
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