Der Verrat
planen.
Ich ging zur Causeway Road, dann nach Westen Richtung Sheung Wan und suchte nach einem geeigneten Treffpunkt. Es war Sonntag, und die ganze Gegend war erfüllt vom Geplapper Tausender philippinischer Dienstmädchen, die hier arbeiteten und jetzt ihren freien Tag genossen. Sie saßen an schattigen Plätzchen auf platt gedrückten Pappkartons und picknickten mit pancit palabok und sotanghon und kilawing tanguige und anderer Trostnahrung, um für einen kurzen Augenblick das Gefühl zu haben, wieder daheim zu sein.
Ich bewegte mich nach Süden in den Western District hinein, der nicht etwa so heißt, weil er kulturell oder vom Flair her westlich anmutet, sondern lediglich, weil er westlich von Central liegt. Vielmehr wird er von den verwitterten Gesichtern alter Heilkundiger geprägt, die Schlangenmoschus und zerstoßene Eidechsen und andere ähnlich ausgefallene Pharmaka verrühren, von Weihrauchgerüchen aus Tempeln und den Essensdüften aus Schlangenrestaurants und Sim-Sum-Bäckereien, von den Rufen der Fischverkäufer und Straßenfeger und Händler. Kurzum, der Western District wirkt sehr viel »fernöstlicher« als das übrige Hongkong.
Ich verschwand in einem der zahllosen Secondhandläden auf der Cat Street und kaufte etliche Sachen, die alle nur den Ladenbesitzer ablenken sollten und schon bald entsorgt werden würden, alle bis auf das Jagdmesser mit der zehn Zentimeter langen Klinge und dem Horngriff. Das Messer steckte in einer Lederscheide, und die Klinge war beruhigend scharf.
In meiner Brieftasche steckte eine alte Kreditkarte, um die ich immer ein langes Stück Isolierband gewickelt habe, das sich bereits für vielfältige Zwecke als äußerst nützlich erwiesen hat. Jetzt zum Beispiel würde ich damit das Jagdmesser an der Unterseite eines Fußgängerbrückengeländers befestigen. Wenn ich merkte, dass jemand uns folgte oder sonst irgendetwas auf einen Hinterhalt deutete, würde ich Dox an dem Geländer vorbeiführen und ihn damit erledigen.
Ich hätte das Messer lieber bei mir getragen, aber Dox war nicht dumm, obwohl er gern den Anschein erweckte. Und ich wusste, dass er auf Anzeichen achten würde, ob ich bewaffnet war. Natürlich hätte ich das Messer gut versteckt am Körper tragen können, aber das hätte unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch genommen. Da war mir das Überraschungselement wichtiger. Natürlich wäre es auch ratsam gewesen, zusätzliche Kleidung zu tragen, mit einem Laufanzug oder ähnlichem zwischen der oberen und der unteren Schicht, den ich hinterher rasch hätte ausziehen können, falls die Angelegenheit blutig endete. Aber auch das würde Dox auffallen. Es gab allerdings einen Kompromiss. Ich kaufte eine dunkle Nylonjacke und eine Packung Babyfeuchttücher, verstaute dann beides unter einem Mülleimer in einer öffentlichen Toilette, nicht weit von der Stelle, an der ich das Messer versteckt hatte. Falls es mit Dox hart auf hart ging und ich dabei Blut abbekam, war ich im Nu bei der Toilette, wo ich mich wieder gesellschaftsfähig machen könnte.
Ich ging weiter und betrat das International Financial Center, in dem eine große Shopping Mall untergebracht ist. Ich schlenderte umher, bis ich eine günstige Stelle im zweiten Stock fand, die den Blick auf eine Buchhandlung namens Dymock’s ein Stockwerk tiefer freigab. Ich konnte nicht nur den Eingang zum Buchladen überwachen, sondern auch den Eingang zur Mall gleich daneben sowie sämtliche Zugänge, die zu meiner Position führten. Falls ich irgendetwas sah, was mir nicht gefiel, konnte ich in verschiedene Richtungen verschwinden.
Ich rief Dox von einem Münztelefon aus an.
»Moshi moshi« ,sagte er gedehnt.
Ich fragte mich kurz, ob ich Dox mit meiner Vermutung, sein Südstaatenakzent sei nur gespielt, nicht vielleicht doch überschätzte.
»Machst du den Frauen noch immer schöne Augen?«, fragte ich.
»Es sind noch ein paar neue dazugekommen«, sagte er, und seine Stimme klang, als sei er strahlender Laune. »Ich hab genug, dass es für alle reicht.«
»Wir treffen uns in der Buchhandlung Dymock’s in der Shopping Mall des IFC.«
»Der was? Ich habe kei–«
»Spar dir dein Provinzgetue für jemanden, der es dir abkauft«, fiel ich ihm ins Wort. »In der Shopping Mall des International Financial Center. Erster Stock. U-Bahnstation Hongkong. Das müsstest du gut in fünfzehn Minuten schaffen. Brauchst du länger, bin ich weg.«
»Alles klar, alles klar, werd doch nicht gleich so unfreundlich. Bin
Weitere Kostenlose Bücher