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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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schon unterwegs.«
    »Ich werde dich beobachten, Dox. Falls du nicht allein bist, nehme ich das persönlich.«
    »Weiß ich doch, weiß ich doch.«
    Und er wusste es wirklich. Wir hatten zusammengearbeitet. Er hatte gesehen, wozu ich in der Lage war.
    Ich legte auf, ging wieder auf meine Position und wartete.
    Natürlich kannte ich die Einzelheiten nicht, aber das war auch nicht nötig. Dox wusste, dass ich in Hongkong war, weil ich Kanezaki von hier aus angerufen hatte. Irgendwie hatte er dieses Foto von mir hingekriegt. Er hatte mich früher gekannt und vor kurzem noch gesehen. Vielleicht hatte er mit einem Techniker gearbeitet, so wie Zeugen mit einem Polizeizeichner. Vielleicht hatten sie auch noch ein Foto aus meiner Militärzeit und hatten es digitalisiert, um die Folgen der plastischen Chirurgie und der vergangenen Jahrzehnte zu berücksichtigen. Auf jeden Fall hatte Dox mit dem Foto die Hotels von Hongkong und Kowloon abgeklappert. Er kannte mich, also hatte er bestimmt mit den besten angefangen und sich dann nach unten gearbeitet. Deshalb wusste er, dass ich in einem Hotel war, aber er wusste nicht, in welchem.
    Wahrscheinlich war er auch im Peninsula gewesen, aber dort hatte ich mich nicht regulär ausgecheckt, weil ich es so eilig gehabt hatte. Vielleicht hatte er irgendeinen Dienstausweis gezückt, US-Zollbehörde oder so was in der Art, mit der Bitte um Unterstützung. Oder vielleicht hatte er auch Kontakte vor Ort. Klar, der Manager im Putz hatte gesagt, es handele sich um eine »polizeiliche Angelegenheit«. Vielleicht hatte die CIA die hiesige Polizei um Amtshilfe gebeten.
    Ich schüttelte ein wenig traurig den Kopf. Dass ich in Tophotels wohne, wenn ich beruflich unterwegs bin, ist ein Luxus, zugegeben, aber man gönnt sich ja sonst nichts. Jetzt hatte sich die Angewohnheit als Nachteil erwiesen. Ich würde sie ablegen müssen.
    Ich versuchte, es nicht persönlich zu nehmen. Dox, Kanezaki, jeder hatte seine Gründe. Sie machten auch nur ihre Arbeit.
    Tja, und falls es mir zu viel wurde, würde ich eben meine erledigen. Nehmt’s mir nicht übel, Jungs. Ihr wisst ja, wie das ist.
    Zehn Minuten später sah ich ihn durch den rechten Eingang im ersten Stock hereinkommen. Vorläufig schien er allein zu sein. Falls er Begleiter hatte, so warteten die noch vor dem Eingang.
    Als er in die Buchhandlung gehen wollte, rief ich ihn. »Dox. Hier oben.«
    Er blickte hoch und lächelte. »Hallo.«
    »Nimm die Rolltreppe rechts von dir«, sagte ich. »Beeil dich.«
    Er tat es. Währenddessen behielt ich den Eingang hinter ihm im Auge, ob jemand hereinkam und ihm folgte. Ich sah nichts Verdächtiges.
    Als er oben an der Rolltreppe ankam, trat ich auf ihn zu. »Geh nach links«, sagte ich. »Geradeaus durch die Mall. Ich bin direkt hinter dir. Ich sag dir dann, was du als Nächstes machen sollst.«
    »Wirst du diesen Mist denn nie leid?«, fragte er und sah mich traurig an.
    Ich beobachtete die Rolltreppe hinter ihm. »Los«, sagte ich. »Sofort.«
    Er tat es. Ich beobachtete Rolltreppe und Eingang noch einen Moment länger. Alles klar. Dann holte ich ihn ein und hielt mich leicht rechts hinter ihm. Harrys Detektor rührte sich nicht.
    Wir gelangten zu einem Lieferantenkorridor. »Hier rechts«, sagte ich.
    Er gehorchte. Wir gingen ein paar Meter weiter. »Stop«, sagte ich. »Hände an die Wand.«
    Er sah mich mit Leidensmiene an, tat aber wie geheißen. Ich tastete ihn ab. Keine Waffen. Ich nahm sein Handy, schaltete es aus und steckte es ein.
    »Gibst du mir das wieder, wenn die Schule aus ist?«, wollte er wissen.
    »Klar«, sagte ich. »Aber nur wenn du schön brav bist. Jetzt geh da raus.«
    Ich blickte noch einmal in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Nichts löste auf meinem Radar Alarm aus. So weit, so gut.
    Ich führte ihn zu einem schmuddeligen Restaurant tief in Pok Fu Lam, weit genug von den Touristengegenden der Insel entfernt, so dass sich nur die kühnsten Urlauber hierher verirrten. Es war mehr oder weniger ein Slumviertel, aber mir gefiel es. In mancherlei Hinsicht fand ich die verwahrlosten dreistöckigen Häuser, bei denen die Farbe nach Jahrzehnten in der tropischen Feuchtigkeit verblasst war und abblätterte, während ihre kunstvollen Balkone und geschnitzten Balustraden noch immer seltsam stolz, ja sogar trotzig wirkten, irgendwie angenehmer als das reiche und dynamische Hongkong der Distrikte im Osten. Dox, groß und kräftig, bärtig und vor allem weiß, wirkte zwischen den anderen

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