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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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viel trauriger.
    »Mir auch.«
    Ich brachte nicht viel heraus, mir fehlten die Worte. Wir verabredeten uns für später. Ich ging zum Sofa und blieb eine Stunde lang reglos sitzen.
    Dann ging ich zum Wagen und holte die Tüten voller Lebensmittel, Spielzeug und Kleidung heraus, die ich für sie gekauft hatte.
    Mordecai kam aus reiner Neugier gegen Mittag in mein Büro. Er hatte viele große Kanzleien kennengelernt, aber er wollte die Stelle sehen, wo Mister erschossen worden war. Ich machte einen kurzen Rundgang mit ihm und erzählte ihm, wie die Geiselnahme abgelaufen war. Wir nahmen seinen Wagen. Ich war dankbar für den spärlichen Sonntagsverkehr, denn Mordecai achtete nicht sonderlich auf andere Verkehrsteilnehmer.
    »Lontae Burtons Mutter ist achtunddreißig und sitzt gerade eine zehnjährige Strafe wegen Dealens mit Crack ab«, sagte er mir. Er hatte ein wenig herumtelefoniert. »Sie hatte zwei Brüder, beide im Gefängnis. Sie selbst hatte Vorstrafen wegen Drogen und Prostitution. Keine Ahnung, wer der Vater oder die Väter der Kinder sind.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich hab ihre Großmutter aufgetrieben - sie wohnt in einer Sozialsiedlung. Als sie Lontae das letzte Mal gesehen hat, hatte die nur drei Kinder und verkaufte zusammen mit ihrer Mutter Drogen. Die Großmutter sagt, dass sie wegen dieser Drogengeschäfte den Kontakt zu ihrer Tochter und ihrer Enkelin abgebrochen hat.«
    »Wer sorgt für die Beerdigung?«

    »Dieselben Leute, die sich um die von Devon Hardy gekümmert haben.«
    »Und wie viel würde ein anständiges Begräbnis kosten?«
    »Das ist Verhandlungssache. Würden Sie die Kosten übernehmen?«
    »Ich möchte, dass sie anständig bestattet werden.«
    Wir waren auf der Pennsylvania Avenue und fuhren, im Hintergrund das Capitol, an den riesigen Gebäuden des Kongresses vorbei, und ich schickte in Gedanken ein oder zwei Flüche in Richtung der Dummköpfe, die Monat für Monat Milliarden verschwendeten, obwohl es so viele Obdachlose gab. Wie konnte es geschehen, dass vier unschuldige Kinder auf der Straße, praktisch im Schatten des Capitols, starben, nur weil sie keine Wohnung hatten?
    In der Gegend, in der ich wohnte, gab es Leute, die sagen würden, es wäre besser gewesen, wenn sie gar nicht erst geboren worden wären.
    Die Leichname waren zur Leichenhalle gebracht worden, einem zweistöckigen, braunen Gebäude aus Fertigteilen, das neben dem General Hospital stand. Dort würden sie bleiben, es sei denn, jemand erhob Anspruch auf sie. Wenn sich innerhalb von achtundvierzig Stunden niemand meldete, würde man sie, wie es vorgeschrieben war, einbalsamieren, in einen billigen Sarg legen und sie umgehend auf dem Friedhof beim RFK-Stadion begraben.
    Mordecai parkte auf einem Behindertenparkplatz, zögerte einen Augenblick und sagte: »Sind Sie sicher, dass Sie da reingehen wollen?«
    »Ich glaube ja.«
    Er war nicht zum erstenmal hier und hatte vorher ein paar Telefongespräche geführt. Ein Mann in der schlecht sitzenden Uniform des Sicherheitsdienst wagte es, uns aufzuhalten, und Mordecai fuhr ihn so laut an, dass ich ängstlich zusammenzuckte. Ich hatte ohnehin ein Gefühl im Magen, als hätte ich einen Stein verschluckt.
    Der Mann vom Sicherheitsdienst zog sich zurück und war froh, aus der Schusslinie zu sein. Auf einer großen Doppeltür aus Glas stand in schwarzer Schrift LEICHENHALLE, und Mordecai trat ein, als sei die ganze Dienststelle sein Privatbesitz.
    »Ich bin Mordecai Green, Anwalt der Familie Burton«, knurrte er den jungen Mann hinter dem Tresen an. Es klang weniger wie eine Feststellung als vielmehr wie eine Drohung.
    Der junge Mann blätterte die Papiere auf einem Klemmbrett durch und wühlte in weiteren Unterlagen.
    »Was machen Sie da eigentlich?« raunzte Mordecai ihn an.
    Der junge Mann sah auf und machte ein Gesicht, als wollte er Widerworte geben, doch dann wurde ihm mit einemmal bewusst, wie groß sein Gegenüber war. »Einen Moment«, sagte er und trat an den Computer.
    Mordecai wandte sich zu mir und sagte laut: »Man könnte meinen, die haben hier tausend Leichen.«
    Mir wurde klar, dass er für Beamte und Staatsangestellte keinerlei Geduld aufbrachte. Die Geschichte über die Entschuldigung der Beamtin beim Sozialamt fiel mir ein. Die Hälfte von Mordecais Anwaltstätigkeit bestand aus Einschüchtern und Drohen.
    Ein blasser Mann mit schlecht gefärbtem schwarzen Haar und einem feuchtkalten Händedruck erschien und stellte sich als Bill vor. Er trug einen

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