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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Basketballspieler, als er mit siebzehn Jahren erschossen worden war.
    Um Mitternacht fuhr ich nach Hause. Von Ontario und seiner Familie keine Spur.

    ZEHN

    Der Sonntag begann am späten Vormittag mit einem Anruf von Claire und einem neuerlichen gezwungenen Geplauder, mit dem sie kaschierte, dass sie mir nur ihre Ankunftszeit mitteilen wollte. Ich schlug vor, in unserem Lieblingsrestaurant zu Abend zu essen, doch dazu hatte sie keine Lust. Ich fragte sie nicht, ob irgend etwas sie bedrückte. Darüber waren wir hinaus.
    Unsere Wohnung lag in der zweiten Etage, und es war mir noch nicht gelungen, eine zufriedenstellende Lösung für die Zustellung der Sonntagsausgabe der Washington Post zu finden. Wir hatten es mit verschiedenen Methoden probiert, aber oft genug suchte ich vergeblich nach unserer Zeitung.
    Ich duschte und zog mehrere Schichten Kleider an. Der Wetterbericht sagte Höchsttemperaturen von minus fünf Grad voraus, und kurz bevor ich die Wohnung verlassen wollte, begann die Sprecherin mit der Top-Story des Morgens. Es traf mich wie ein Hammerschlag - ich hörte die Worte, doch ihre Bedeutung wurde mir erst nach und nach bewusst. Ich ging zu dem Fernseher, der auf der Küchentheke stand; meine Füße waren schwer, mir wurde kalt ums Herz, und mein Mund stand in ungläubigem Entsetzen offen.
    Gegen elf Uhr nachts hatten Polizeibeamte in einer gefährlichen Gegend beim Fort Totten Park in Northeast einen kleinen Wagen überprüft, dessen abgefahrene Reifen im Schneematsch steckten. Sie fanden eine junge Mutter und ihre vier Kinder, allesamt erstickt. Man nahm an, dass die Familie in dem Wagen gelebt hatte und den Motor hatte laufen lassen, um die Heizung in Gang zu halten. Der Auspuff des Wagens war durch Schnee, der von der Straße gepflügt worden war, verstopft worden. Es gab noch ein paar Details, aber keine Namen.
    Ich rannte hinaus. Auf dem Bürgersteig wäre ich fast ausgerutscht, doch ich fing mich wieder und lief die P Street hinunter zur Wisconsin Avenue und hinüber zur Ecke 34th Street, wo es einen Zeitungskiosk gab. Erregt und außer Atem griff ich mir eine Sonntagszeitung und fand ganz unten auf der ersten Seite eine kleine, offenbar in letzter Minute eingefügte Notiz. Auch hier keine Namen.

    Ich schlug den Lokalteil auf und ließ den Rest der Zeitung auf den nassen Boden fallen. Die Story wurde auf Seite 14 fortgesetzt: ein paar Standard-Verlautbarungen der Polizei sowie die üblichen Warnungen vor verstopften Auspuffrohren. Dann kamen die furchtbaren Einzelheiten: Die Mutter war zweiundzwanzig und hieß Lontae Burton. Das Baby hieß Temeko. Die beiden Kleinkinder, Alonzo und Dante, waren Zwillinge. Der ältere Junge hieß Ontario und war vier Jahre alt.
    Ich muss ein seltsames Geräusch von mir gegeben haben, denn ein Jogger sah mich misstrauisch an, als könnte ich gefährlich werden. Ich setzte mich langsam in Bewegung, stieg über die anderen zwanzig Teile der Zeitung und hielt dabei den Lokalteil aufgeschlagen vor mich.
    »He, Sie!« rief mir eine ziemlich unangenehme Stimme nach. »Würden Sie die Zeitung gefälligst bezahlen?« Ich ging einfach weiter.
    Er lief mir nach und rief: »He, Mister!« Ich blieb stehen, zog einen Fünf-Dollar-Schein aus der Tasche und warf ihn, ohne den Mann anzusehen, auf den Boden.
    Auf der P Street, in der Nähe meiner Wohnung, lehnte ich mich an die Gartenmauer eines gepflegten Reihenhauses. Der Bürgersteig war makellos sauber. Langsam las ich den Artikel noch einmal, in der verzweifelten Hoffnung, er könnte diesmal anders enden. Fragen und Gedanken stürmten so schnell auf mich ein, dass ich gar nicht mehr nachkam, doch zwei davon tauchten immer wieder auf: Warum waren sie nicht in die Notunterkunft zurückgekehrt? Und: War das Baby in meine Jeansjacke gewickelt gewesen?
    Das Denken war schwer genug - ich konnte fast keinen Fuß vor den anderen setzen.
    Nach dem ersten Schock kamen die Schuldgefühle. Warum hatte ich nicht schon Freitag nacht, als ich sie kennengelernt hatte, etwas für sie getan? Ich hätte sie doch auf der Stelle in ein warmes Motel bringen und ihnen zu essen geben können.
    Als ich die Wohnung betrat, läutete das Telefon. Es war Mordecai. Er fragte mich, ob ich den Artikel gelesen hätte, und ich fragte ihn, ob er sich an die nasse Windel erinnerte. »Es war dieselbe Familie«, sagte ich. Er hatte die Namen noch nie gehört. Ich erzählte ihm von meiner Unterhaltung mit Ontario.
    »Es tut mir so leid, Michael«, sagte er, nun noch

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