Der Verrat
Fragen zu stellen, und sie würden
sie unter Eid beantworten müssen. Außerdem würden wir vorladen können, wen wir wollten. Wenn es uns gelang, Hector Palma aufzuspüren, konnten wir ihn vereidigen lassen und in die Zange nehmen. Wenn wir die anderen Opfer der Zwangsräumung fanden, konnten wir sie zwingen zu sagen, was geschehen war.
Wir mussten herausfinden, wer wie viel wusste, und dazu brauchten wir die Unterstützung eines Gerichts.
Theoretisch lag der Fall ganz einfach: Die Leute, die in dem Lagerhaus gewohnt hatten, waren Mieter gewesen. Sie hatten bar bezahlt, ohne Quittung, und zwar an Tillman Gantry oder jemanden, der in dessen Auftrag handelte. Gantry hatte sich die Gelegenheit geboten, das Anwesen an RiverOaks zu verkaufen, allerdings nur, wenn das Geschäft schnell abgewickelt werden konnte. Er hatte RiverOaks und die für diese Firma arbeitenden Anwälte bezüglich der Mieter belogen. Drake & Sweeney hatte gewissenhaft Hector Palma zu dem Objekt geschickt, damit er es inspizierte. Hector wurde bei seinem ersten Besuch überfallen, nahm beim zweiten einen Mann vom Sicherheitsdienst mit und stellte fest, dass die vermeintlichen Besetzer in Wirklichkeit Mieter waren. Er erstattete Braden Chance Bericht, der es jedoch unglückseligerweise vorzog, diese Information zu ignorieren und die Zwangsräumung vornehmen zu lassen. Die Mieter wurden rücksichtslos und gesetzwidrig auf die Straße gesetzt.
Ein ordentliches Räumungsverfahren hätte einen Aufschub von mindestens dreißig Tagen bewirkt, und keiner der Beteiligten wollte soviel Zeit verlieren. Der schlimmste Winter wäre vorüber gewesen, es hätte weniger Schneefälle und strenge Nachtfröste gegeben, und man hätte nicht unbedingt bei laufendem Motor im Wagen schlafen müssen.
Es waren bloß ein paar Obdachlose ohne Papiere und Unterlagen, ohne Belege für Mietzahlungen und ohne eine Spur, der man hätte folgen können.
Theoretisch lag der Fall also ganz einfach. Praktisch aber standen wir vor gewaltigen Hürden. Es konnte riskant sein, sich auf die Aussagen der Obdachlosen zu verlassen, besonders wenn Mr. Gantry beschloss, seinen Einfluss geltend zu machen. Er beherrschte die Straßen, und das war eine Arena, in der ich mich ihm nicht unbedingt stellen wollte. Mordecai verfügte über ein verzweigtes Netz von Beziehungen, aber gegen Gantrys Artillerie würde er nichts ausrichten können.
Wir sprachen eine Stunde lang darüber, wie wir es vermeiden könnten, TAG als Beklagten zu benennen. Es lag auf der Hand, dass dieses Verfahren mit Gantry als Beteiligtem sehr viel schmutziger und gefährlicher sein würde. Wir konnten ihn übergehen und es den anderen Beklagten - RiverOaks und Drake & Sweeney
-überlassen, ihn als dritten Beklagten zu benennen.
Doch Gantry hatte die Umstände, aus denen wir ein Verschulden ableiten konnten, mitverursacht, und wenn wir ihn nicht als Beklagten benannten, würden wir im Verlauf des Verfahrens ernsthafte Probleme bekommen.
Wir mussten Hector Palma finden. Und wenn wir ihn gefunden hatten, mussten wir ihm klarmachen, dass er die verschwundene Aktennotiz entweder vorlegen oder aber sagen musste, was darin gestanden hatte. Ihn zu finden würde vergleichsweise einfach sein; möglicherweise würde es uns aber nicht gelingen, ihn zum Reden zu bringen. Wahrscheinlich würde er nicht reden wollen - er brauchte seinen Job. Er hatte mich schon ziemlich früh darauf hingewiesen, dass er eine Frau und vier Kinder hatte.
Das Verfahren warf noch andere Probleme auf, von denen das erste rein technischer Natur war. Als Anwälte waren wir nicht berechtigt, im Namen der Erben von Lontae Burton und ihrer vier Kinder zu klagen. Wir brauchten eine Vollmacht der Familie. Da Lontaes Mutter und ihre beiden Brüder im Gefängnis saßen und der Vater bislang unbekannt war, vertrat Mordecai die Meinung, wir sollten beim Familiengericht die Einsetzung eines Treuhänders beantragen. In diesem Fall konnten wir ihre Familie zumindest anfangs übergehen. Sollte es tatsächlich zur Zahlung von Schmerzensgeld kommen, wäre die Familie ein einziger Alptraum. Die vier Kinder hatten mit ziemlicher Sicherheit mindestens zwei verschiedene Väter, und jeder von ihnen musste benachrichtigt werden, sobald Geld den Besitzer wechselte.
»Darüber werden wir uns später den Kopf zerbrechen«, sagte Mordecai. »Erst mal müssen wir gewinnen.« Wir saßen im Empfangsraum, an dem Tisch neben dem von Sofia. Hier stand ein altersschwacher Computer, der
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