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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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dann erst bei zwölf Geschworenen bewirken, denen er so nahe kam, dass er sie berühren konnte?
    In diesem Augenblick wurde mir klar, dass es im Fall Burton niemals zu einer Verhandlung kommen würde. Kein Verteidiger, der sein Geld wert war, würde zulassen, dass Mordecai Green in dieser Stadt vor einer Jury von Schwarzen sprach. Wenn sich unsere Vermutungen als richtig erwiesen und wir sie beweisen konnten, würde es kein Gerichtsverfahren geben.
    Nach eineinhalb Stunden Reden wurde die Menge unruhig und wollte marschieren.
    Der Chor begann wieder zu singen, und die Sargträger setzten sich in Bewegung und führten den Marsch an. Hinter den Särgen gingen die Organisatoren, unter ihnen auch Mordecai. Der Rest der Menge folgte. Jemand drückte mir ein Lontae-Plakat in die Hand, und ich hielt es ebenso hoch wie die anderen.
    Privilegierte Menschen demonstrieren und protestieren nicht - ihre Welt ist sicher und sauber und wird durch Gesetze geschützt, die dafür sorgen sollen, dass sie zufrieden sind. Ich war noch nie auf die Straße gegangen. Wozu auch?
    Auf den ersten ein-, zweihundert Metern kam ich mir etwas sonderbar vor: Ich marschierte in einer Menschenmasse und hielt ein an einem Stock befestigtes Plakat hoch, auf dem eine zweiundzwanzigjährige schwarze Mutter von vier unehelichen Kindern abgebildet war.
    Doch ich war nicht mehr der, der ich noch vor wenigen Wochen gewesen war. Und es gab kein Zurück mehr, selbst wenn ich das gewollt hätte. In der Vergangenheit war mein Leben von Geld, Besitz und Status bestimmt gewesen, von Zielen, die mir jetzt eher suspekt waren.
    Und so entspannte ich mich. Ich rief Parolen mit den Obdachlosen, ich schwenkte mein Plakat im Gleichtakt mit den anderen und versuchte sogar, Kirchenlieder zu singen, die mir vollkommen unbekannt waren. Ich genoss meine erste Demonstration. Es würde nicht meine letzte sein.
    An den Kreuzungen hielten uns die Straßensperren den Weg zum Capitol Hill frei.
    Der Marsch war gut organisiert und zog wegen seiner Größe viel Aufmerksamkeit auf sich. Die Särge wurden auf die Stufen des Capitols gestellt. Wir versammelten uns um sie und hörten eine weitere Serie zorniger Reden von Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung und zwei Kongressabgeordneten.

    Die Reden wiederholten sich - ich hatte genug gehört. Meine obdachlosen Brüder hatten nicht viel zu tun, ich dagegen hatte seit dem Beginn meiner neuen Karriere am Montag einunddreißig Fälle bearbeitet. Einunddreißig wirkliche Menschen warteten darauf, dass ich ihnen Lebensmittelgutscheine verschaffte, mich um die Zuweisungen von Sozialwohnungen kümmerte, Scheidungen einreichte, ihre Verteidigung in Strafsachen übernahm, ausstehende Lohnzahlungen eintrieb, Zwangsräumungen verhinderte, bei Suchtproblemen half - mit einem Wort: dass ich mit den Fingern schnippte und irgendwie für Gerechtigkeit sorgte. Als Anwalt für Kartellrecht hatte ich meine Mandanten nur selten von Angesicht zu Angesicht gesehen. Das hatte sich nun gründlich geändert.
    Bei einem Straßenhändler kaufte ich mir eine billige Zigarre und machte einen kleinen Spaziergang auf der Mall.

    FÜNFUNDZWANZIG

    Ich klopfte an die Tür neben der Wohnung, in der die Palmas gelebt hatten. Eine Frau fragte: »Wer ist da?« machte aber keinerlei Anstalten, die Tür zu öffnen.
    Ich hatte meine Taktik lange und gründlich bedacht. Auf dem Weg hierher hatte ich sogar meinen Text einstudiert, aber ich glaubte selbst nicht, dass ich überzeugend wirkte.
    »Bob Stevens«, sagte ich und verzog das Gesicht. »Ich suche Hector Palma.«
    »Wen?«
    »Hector Palma. Er war Ihr Nachbar.«
    »Was wollen Sie?«
    »Ich schulde ihm Geld und will ihn finden, das ist alles.«
    Hätte ich Schulden eintreiben wollen oder einen ähnlich unwillkommenen Auftrag gehabt, dann wäre die Nachbarin natürlich sehr viel weniger hilfsbereit gewesen. Ich fand mich ziemlich raffiniert.
    »Die sind weg«, sagte die Frau.
    »Das weiß ich. Wissen Sie, wo sie hingezogen sind?«
    »Nein.«
    »In eine ganz andere Gegend?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Haben Sie den Umzug gesehen?«
    Die Antwort lautete natürlich ja - so ein Umzug war ja nicht zu übersehen. Doch die Hilfsbereitschaft der Nachbarin war erschöpft; sie verschwand von der Wohnungstür und rief wahrscheinlich den Sicherheitsdienst an. Ich wiederholte meine Frage und läutete noch einmal. Keine Reaktion.
    Also ging ich zur Tür der Nachbarn auf der anderen Seite. Ich läutete zweimal.
    Die mit einer Vorlegekette

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