Der Verrat
machen, wie Ihr versucht habt, über die Leichen seines Erben und seines sōsakan-sama an die Macht zu gelangen.«
»Glaubt Ihr, ich gebe mich mit dem bloßen Überleben zufrieden? Nein, das ist nicht genug.« Seine unstillbare Gier verlieh Hoshina Mut. Er ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. »Ich will mehr Zugeständnisse, oder jeder von uns versucht allein sein Glück.«
»Und was verlangt Ihr?«, fragte Sano.
»Eine Gefälligkeit.«
»Welche?«
Ein verschlagenes Lächeln legte sich auf Hoshinas Lippen. »Ich werde entscheiden, was ich will, sobald ich es will. Und dann solltet Ihr meiner Forderung nachgeben.«
Hirata blickte Sano mit weit aufgerissenen Augen an. Der Preis Hoshinas war unverschämt hoch. Doch Sano hatte kaum eine andere Chance, und sein eigenes Überleben stand auf dem Spiel.
»Einverstanden«, sagte er.
Hoshina antwortete mit einem Blick, der Vergeltung versprach, während er zugleich Sanos Sieg anerkannte. »Der Mori-Klan hat ein Lagerhaus am Fluss gemietet. Ich hatte Spitzel beauftragt, das Gebäude zu beobachten, weil ich annahm, dass die Bande dort Diebesgut versteckt und damit handelt. Himmelsfeuer könnte dort sein.«
Fürstin Yanagisawa kniete in ihrem Gemach vor Kikuko und legte einen gefütterten seidenen Umhang um deren Schultern. »Da«, sagte sie. »Jetzt bist du fertig.«
In ihrer Seele stritten unterschiedliche Gefühle miteinander. Dies war der Tag, an dem sie alles erreichen würde, was sie sich jemals gewünscht hatte. Die schwierigen Stunden, die vor ihr lagen, waren die Brücke zwischen ihrem gegenwärtigen leidvollen Leben und einer Zukunft voller Glück. Fürstin Yanagisawa empfand ein schwindelerregendes Gefühl. Seltsame Lichter und Schatten trübten ihren Blick, als würden Sonnenstrahlen Unwetterwolken durchstoßen.
»Kommst du mit, Mama?«, fragte Kikuko.
»Nein, mein Schatz«, sagte Fürstin Yanagisawa, denn an dem Ort, an dem ihre Pläne sich verwirklichen würden, durfte keine Schuld auf sie fallen.
»Warum nicht?«
»Ich kann nicht«, erwiderte die Fürstin. »Eines Tages werde ich es dir erklären.«
In nicht allzu ferner Zukunft würde Kikuko verstehen und gutheißen, was ihre Mutter für sie getan hatte. »Rumi- san bringt dich dorthin.« Fürstin Yanagisawa zeigte auf das alte Dienstmädchen, das an der Tür wartete. Sie legte die Hände auf Kikukos Schultern und schaute ihrer Tochter ins Gesicht. »Erinnerst du dich an alles, was wir besprochen haben?«
»Erinnern«, murmelte Kikuko und nickte ernst.
»Weißt du, was du tun musst?«
Kikuko nickte abermals. Es hatte Fürstin Yanagisawa größte Mühe gekostet, dem Kind alles zu erklären. Sie hatten alles gemeinsam durchgespielt, bis Kikuko es perfekt beherrschte. Doch die Fürstin konnte nur hoffen, dass Kikuko ihren Anweisungen genauestens folgte.
»Geh jetzt«, befahl Fürstin Yanagisawa. Sie schloss Kikuko fest in ihre Arme, als der Wind des Schicksals lauter und kräftiger heulte. Durch die Sturmwolken, die in Fürstin Yanagisawas Kopf wirbelten, strahlte ein Bild ihres Gemahls. Er lächelte sie mit der Zärtlichkeit an, nach der sie sich so sehr sehnte. Er streckte die Hand aus und ermunterte sie, die Brücke zu überqueren, die sie gebaut hatte, um sie beide zu vereinen.
Fürstin Yanagisawa ließ Kikuko los und erhob sich. »Sei ein braves Mädchen.«
Kikuko trottete mit dem Dienstmädchen davon. Fürstin Yanagisawa war allein. Sie hatte ihr Schicksal in die Hände ihrer Tochter gelegt. Jetzt konnte sie nur noch abwarten.
An den Ufern des Sumida-Flusses standen zahlreiche Lagerhäuser – hohe Gebäude mit getünchten Wänden. Auf Schildern standen die Namen der Eigentümer. Das Symbol der Tokugawa bezeichnete das Reislager des bakufu . Gassen zwischen den Häusern führten zum Fluss, wo die Docks sich bis ins trübe Wasser erstreckten. Auf der Landseite beförderten Träger und Ochsenkarren Waren über eine Hauptstraße, die parallel zum Fluss verlief, und weiter die Straßen hinauf durch jene Viertel, die sich an das allmählich ansteigende Gebiet schmiegten.
Sano, Hirata und ihr fünfzig Mann starker Trupp ritten eine Geschäftsstraße hinunter zum Fluss. Ein Stück oberhalb der Hauptstraße hielten sie ihre Pferde an.
»Dort ist das Lagerhaus, das dem Mori-Klan als Versteck dienen soll«, stellte Sano fest.
»Offenbar sind die Vögel ausgeflogen«, meinte Hirata. Die breite Brettertür war verschlossen. Hölzerne Fensterläden versperrten die Fenster
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