Der Verrat
wollen, brauchen wir ein Heer, das das gesamte Land nach ihm absucht, jedes Dorf und jeden noch so kleinen Weiler. Ich habe noch immer Verbündete, die uns Truppen für eine landesweite Jagd zur Verfügung stellen würden. Das könnte unsere einzige Möglichkeit sein, da wir nun alle Orte aufgesucht und alle unsere Kontakte ausgeschöpft haben.«
»Die Polizei muss Informationen über den Mori-Klan haben. Es gab eine Zeit, da hätte ich auf ihre Hilfe zählen können, genauso wir Ihr. Aber da Hoshina nun Kommandeur ist, bekomme ich von niemandem mehr den kleinsten Hinweis.« Hirata lachte bitter auf. »Mein Klan hat seit Generationen der Polizei gedient, wie Ihr wisst, und nun bin ich in keiner noch so kleinen Wache mehr willkommen.«
»Wir werden es trotzdem dort versuchen«, entschied Sano. »Wir haben nichts zu verlieren.«
»Das stimmt. Und viele doshin sind durch Blutsbande mit meinem Klan verbunden«, fuhr Hirata fort. »Vielleicht kann ich sie überzeugen, dass ihre Verpflichtung, mir bei der Suche nach Himmelsfeuer zu helfen, schwerer wiegt als die Treuepflicht, die Hoshina von ihnen erzwungen hat.«
Sano und Hirata ritten zur Polizeizentrale Edos, die im Schutz einer Mauer im Süden des Verwaltungsviertels Hibiya lag. In einer Gasse unweit eines Tores auf der Rückseite stiegen sie von den Pferden und betraten den Hof. Hastig gingen sie durch enge Gassen an den Küchen und Unterkünften der Dienerschaft vorbei und hofften, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Sie erreichten die Kasernen der Streifenpolizisten, der doshin : eine Gruppe zweistöckiger Fachwerkhäuser unweit der Ställe, die rings um einen Hof errichtet waren.
Eine herrische Stimme hinter ihnen rief: » Sōsakan-sama !«
Sano blieb stehen und drehte sich um. Er sah Polizeikommandeur Hoshina, der auf ihn zuschritt – begleitet von den yoriki Hayashi und Yamaga. Bestürzung erfasste Sano, Hirata fluchte. Hoshina trug ein teuflisches Lächeln zur Schau, während Yamaga und Hayashi finster blickten. Dann standen die beiden Parteien einander gegenüber. Sanos Herzschlag beschleunigte sich, gleichzeitig durchströmte ihn Energie, als stände eine Schlacht bevor.
»Seid Ihr gekommen, um Euch zu stellen?«, fragte Hoshina hämisch.
Sano bedachte den Kommandeur mit verächtlichen Blicken, als ihm klar wurde, dass er von der Polizei keine Hilfe bekommen würde. Die yoriki , zu denen Sano ja selbst einst gezählt hatte, hätten ihm vielleicht heimlich geholfen, aber nicht vor ihrem Vorgesetzten. Und Hoshina würde wie eine Klette an ihm und Hirata kleben, bis sie das Gelände verlassen hatten.
Rasch änderte Sano seine Strategie. »Ich bin gekommen, Euch um Unterstützung zu bitten, Hoshina- san .«
»Meine Unterstützung?« Grenzenlose Verwunderung ließ Hoshinas Grinsen verschwinden. »Warum sollte ich Euch helfen?«
»In unser beider Interesse«, erwiderte Sano. Yamaga und Hayashi fragten sich offenbar, was Sano meinte, doch Hirata schien zu begreifen, was er im Schilde führte.
»Wir haben keine gemeinsamen Interessen«, stieß Hoshina verächtlich hervor. »Seid Ihr verrückt geworden?«
»Nein. Ich habe wahrscheinlich den Mörder von Fürst Mitsuyoshi identifiziert.«
Auf dem Gesicht des Polizeikommandeurs spiegelte sich nun unverblümte Verachtung. »Erspart mir Eure Lügen. Ihr versucht so verzweifelt, Eure Haut zu retten, dass Ihr einen neuen Unschuldigen erfindet.«
In das feindselige Schweigen, das die Atmosphäre mit einem Mal vergiftete, sprach Sano ein schlichtes Wort: »Himmelsfeuer.«
Hoshina zuckte zusammen; unwillkürlich verzerrte sich seine Miene.
»Ihr wisst also, wer Himmelsfeuer ist«, stellte Sano fest.
»Natürlich. Er gehört zum Mori-Klan«, erwiderte Hoshina, der sich wieder fasste. »Jetzt habt Ihr also Himmelsfeuer zum Sündenbock erwählt? Wie praktisch. Aber wir wissen beide, dass er mit dem Mord nichts zu tun hat.«
Sano konnte die Gedanken erraten, die Hoshina, der nach außen hin ruhig blieb, durch den Kopf schossen. Der Polizeikommandeur überlegte angestrengt, ob er bei seinen Ermittlungen einen wichtigen Verdächtigen übersehen hatte oder ob Sano ihm bloß etwas vormachte.
»Wir haben Himmelsfeuer beide übersehen, weil wir uns auf die nahe liegendsten Verdächtigen konzentriert haben«, sagte Sano. »Aber Himmelsfeuer war der Liebhaber von Kurtisane Wisterie, und er war in der Mordnacht in Yoshiwara.«
»Das waren viele andere Männer auch«, entgegnete Hoshina. »Das hat nichts zu
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