Der Verrat
richtig gewesen, doch niemals hätte er damit gerechnet, dass Wisterie hinter den Verbrechen stand. Jetzt erinnerte er sich an die Hinweise, die auf die Wahrheit hingedeutet hatten.
»Der Schatzminister hat bei seinem Prozess gestanden, dass Ihr Euch wünschtet, von ihm zur Gemahlin genommen zu werden, doch er wollte nicht«, sagte Sano. »Ihr habt die Kleider Eurer Mutter zerschnitten, weil sie Euch nach Yoshiwara verkauft hat. Und nun sind Momoko, Fujio und Nitta tot, weil sie Euch wehgetan haben.« Magistrat Aoki hatte Wisteries Intrige unwissentlich unterstützt. »Und Ihr wärt beinahe der Strafe entgangen, hättet Ihr nicht einen Komplizen gehabt, den Ihr nicht beherrschen konntet.« Ihre eigennützige Verderbtheit erfüllte Sano mit Entsetzen.
»Das waren nicht die Einzigen, denen sie Schaden zufügen wollte«, verkündete Himmelsfeuer. »Wollt Ihr wissen, wer ihr letztes Opfer war?«
»Halt den Mund!«, kreischte Wisterie. »Du hast schon genug Fehler gemacht!«
Himmelsfeuer zeigte mit dem Finger auf Sano und grinste. »Ihr!«
»Ich?« Sano starrte Wisterie verblüfft an.
»Sie hat in ihrem Tagebuch geschrieben, dass Ihr Pläne geschmiedet hättet, den Erben des Shōgun zu ermorden, damit Euer Sohn eines Tages über Japan herrschen kann«, sagte Himmelsfeuer. »Dann hat sie dem Kammerherrn das Tagebuch geschickt. Ihr hättet einmal sehen sollen, wie glücklich Wisterie war, als sie die Nachricht vernahm, dass Ihr beschuldigt wurdet, Fürst Mitsuyoshi getötet zu haben.«
Sano war schockiert. Das Tagebuch, das er als Fälschung angesehen hatte, war das richtige! Polizeikommandeur Hoshina hatte einzig deshalb Schuld auf sich geladen, indem er das Tagebuch zu seinem Vorteil genutzt hatte. Wisterie selbst hatte Lügen über Sano mit wahren Begebenheiten ihrer Affäre vermischt und Hoshina ihre Verleumdungen zukommen lassen.
Diese Erkenntnis verscheuchte Sanos letzte Illusionen über Wisterie. Von einer Mischung aus Entsetzen und Faszination getrieben, trat er einen Schritt näher an die tödliche Fremde heran, die einst seine Geliebte gewesen war.
»Warum?«, fragte Sano leise.
Ihre Lippen bebten, als sie lächelte und um Gnade bat. Sie sah klein und arglos aus, doch Sano verglich sie in Gedanken nun mit einer Frau in einem Nō-Drama, verkörpert von einer Schauspielerin, die eine Maske mit beweglichen Teilen trug, welche ihr hübsches Gesicht in eine hässliche Fratze verwandelte und ihr teuflisches Wesen offenbarte.
Und Wisteries Maske war gefallen.
»Es … es war ein Fehler. Bitte … lasst mich erklären«, stammelte sie in atemlosem Eifer. »Vor vier Jahren habt Ihr mich in einem Mordfall verhört. Ich wurde bestraft, weil Männer in hohen Positionen nicht wollten, dass Ihr den Fall untersucht und dass jemand Euch bei den Ermittlungen hilft. Ich wurde zu einer hashi degradiert – einer Kurtisane niedersten Ranges. Mein Gemach und meine hübschen Kimonos wurden mir weggenommen. Ich musste in einer überfüllten, verlausten Dachstube hausen, die Reste essen, die andere übrig ließen, und billige Kleider tragen. Ich verlor meine reichen Kunden. Ich musste den schmutzigsten und brutalsten Männern zu Willen sein – drei oder vier in einer Nacht. Wegen Euch musste ich leiden.«
Sano musste eingestehen, dass er eine Mitverantwortung trug, doch das rechtfertigte nicht Wisteries Tun. Er staunte, wie gut ihr Rachefeldzug durchdacht war.
Erinnerungen und Hass verdunkelten Wisteries Augen. »Dann erfuhr ich, dass Ihr zum sōsakan-sama aufgestiegen wart und mich freikaufen wolltet. Ich glaubte, Ihr würdet mich zu Euch in den Palast zu Edo nehmen. Doch Ihr habt nur jemanden geschickt, der mich aus dem Bordell freikaufte und mir Geld gab.« Von heißer Wut erfüllt, fuhr sie mit schriller Stimme fort: »Und später habt Ihr mich besucht und Euch mit mir vergnügt, als würde es keine Rolle spielen, dass Ihr mich im Stich gelassen hattet und ich ums Überleben kämpfen musste.«
Jetzt verstand Sano, warum Wisterie während der Besuche so kühl gewesen war. Sie hatte mehr von ihm erwartet, und er hatte sie enttäuscht.
»Sie geriet in Schwierigkeiten und kehrte nach Yoshiwara zurück.« Himmelsfeuer schritt um Wisterie und Sano herum und genoss offenbar die Tragödie, für die er die Schuld trug. »Sie glaubte, Ihr wärt es ihr schuldig gewesen, sie noch einmal zu retten. Aber das habt Ihr nicht getan, und dafür solltet Ihr büßen.«
Zorn überkam Sano, als er sich daran erinnerte, was Yuya Reiko
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