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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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soll …«
    Sano war so sehr in die Ermittlungen vertieft gewesen, dass er den miai ganz vergessen hatte, obwohl er als Hiratas Mittelsmann eine Schlüsselrolle dabei spielte. Bedauernd sagte er: »Es tut mir Leid, Hirata- san , aber ich fürchte, ich kann nicht am miai teilnehmen.«
    »Schon gut, sōsakan-sama «, sagte Hirata ohne den Hauch eines Vorwurfs. »Der miai kann verschoben werden, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind.«
    Beide waren Samurai; für sie stand die Pflicht über allen persönlichen Dingen. Sano wusste aber auch, wie sehr Hirata sich wünschte, Midori zu heiraten. »Nein«, sagte er deshalb, »du wirst dich zum miai begeben. Ich suche jemanden, der dich so lange vertritt.«
    In Hiratas Miene mischten sich Hoffnung und Besorgnis. »Ich danke Euch für das großzügige Angebot, aber Ihr braucht mich bei den Ermittlungen. Ich kann nicht so lange fortbleiben …«
    »Doch, das kannst du«, sagte Sano, wenngleich er gerade jetzt, an diesem vielleicht entscheidenden Punkt der Nachforschungen, sehr ungern auf die Hilfe seines obersten Gefolgsmannes und engsten Vertrauten verzichtete. »So lange dauert der miai nicht. Bis du zurück bist, können meine Ermittler mir helfen.« Als er sah, dass Hirata widersprechen wollte, fügte er hinzu: »Du gehst zum miai . Das ist ein Befehl.«
    »Jawohl, sōsakan-sama «, sagte Hirata dankbar.
    Sano hoffte, dass der miai auch ohne seine Anwesenheit einen guten Ausgang nahm, doch zunächst einmal hatte er dringendere Sorgen.
    »Am besten, wir reiten zum Palast zurück«, sagte er.
    Auf dem Heimweg nach Edo, überlegte Sano, konnte er Hirata anvertrauen, dass er vor einigen Jahren ein Verhältnis mit Wisterie gehabt hatte, und ihn bitten, dieses Wissen vertraulich zu behandeln. »Der Shōgun wird einen Bericht von uns erwarten.«

5.

     
    S
    ano und Hirata erreichten Edo kurz vor Anbruch der Stunde des Ebers, als die Tore zu den verschiedenen Stadtvierteln noch geschlossen waren; der Verkehr auf den Straßen würde erst im Morgengrauen einsetzen. Der Schneefall hatte nachgelassen; wie Eiskristalle funkelten Sterne am schwarzblauen Himmel. Der Ritt den Palasthügel hinauf – über Straßen und Gassen, an bewachten Kontrollstellen vorüber und zwischen hohen, aus behauenem Fels zusammengefügten Mauern hindurch – führte Sano und Hirata zum Palast des Shōgun inmitten der prächtigen Villen, in denen die hohen bakufu -Beamten wohnten. Weiß schimmerte der Schnee auf den unzähligen Erkern, Giebeln und Dächern, und das Spiel von Licht und Schatten verwandelte die ebenfalls verschneiten Sträucher und Felsblöcke in den Gärten der Anwesen in geisterhafte Gebilde. Sano und Hirata ließen ihre Pferde im Schritt gehen. Gemächlich trotteten die Tiere durch die gespenstische Stille. Bis auf die Wachposten an den Eingangstoren des Palasts war weit und breit niemand zu sehen.
    Im Innern des Palasts jedoch wimmelte es trotz der frühen Stunde wie in einem Bienenstock. In den Privatgemächern des Shōgun war ein Begräbnisaltar für den Fürsten Mitsuyoshi aufgestellt worden; auf diesem Altar stand sein Porträt, beleuchtet von Hunderten flackernder Kerzen, deren Licht vom süßlich duftenden Rauch getrübt wurde, der von den Weihrauchbrennern aufstieg. Sano und Hirata wurden ins Schlafgemach des Shōgun geführt, wo Tokugawa Tsunayoshi auf einem Bett kauerte, das auf einer Plattform stand. In wärmende Decken gewickelt, mit hagerem Gesicht und ohne die schwarze Kappe auf dem Haupt, die seinen Rang kennzeichnete, sah der Shōgun nicht wie der mächtige Militärdiktator Japans aus, sondern wie ein ganz gewöhnlicher, kranker, alter Mann. Er stöhnte bei jedem Atemzug, während der oberste Arzt des Palasts – an seinem blauen Umhang zu erkennen – den Puls des Herrschers fühlte. Zwei weitere Ärzte waren mit der Zubereitung von Heil- und Kräutertränken beschäftigt. Bedienstete und Wächter eilten geschäftig umher. Neben der Plattform saßen Kammerherr Yanagisawa und vier der fünf Mitglieder des Ältesten Staatsrats einander gegenüber; Makino, das fünfte Mitglied des Rates und dessen Vorsitzender, befand sich offenbar noch auf dem Rückweg von Yoshiwara nach Edo.
    »Wie lautet Euer Befund, Dr. Kitano- san ?«, fragte Yanagisawa. Schlank und hoch gewachsen, mit feinen, ebenmäßigen Zügen und in schimmernde Gewänder aus feinster Seide gekleidet, war der Kammerherr ein ausgesprochen schöner Mann. Der Blick aus seinen schwarzen, ausdrucksvollen Augen war auf den

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