Der Verrat
bereitet hatte, doch er besann sich eines Besseren: Die Ermittlungen in einem Mordfall zur Befriedigung persönlicher Rachegelüste zu benutzen würde seine Ehre besudeln. Außerdem musste er dann mit wütender Gegenwehr Makinos rechnen. Falls Sano einen Feldzug begann, um sich auf Kosten seiner alten Feinde Vorteile zu verschaffen, hätte das ein Blutbad zur Folge, das wahrscheinlich auch ihn selbst das Leben kosten würde. Überdies benötigte er jede Information, die er bekommen konnte, und sei es von seinem ärgsten Feind.
»Also gut«, sagte Sano. »Aber wenn ich herausfinde, dass Ihr doch in den Mord verwickelt seid, ist unsere Übereinkunft hinfällig.«
Makino musterte Sano mit verächtlichen Blicken, doch seine Erleichterung war deutlich zu spüren. Er winkte dem Hausmädchen, ihm und den anderen nachzuschenken. Nachdem alle getrunken hatten, sagte er: »An der Feier im ageya haben drei Gäste teilgenommen, die Ihr jetzt nicht mehr in Yoshiwara finden werdet.«
»Und wer ist das?«, fragte Sano.
»Nitta Monzaemon, der Schatzminister, und seine beiden obersten Gefolgsleute.«
Der Schatzminister war im bakufu für die Verwaltung der Steuern verantwortlich: die Handelssteuer, die Besteuerung der Einkünfte von den Landgütern der daimyō – der adligen Feudalherren, die in den Provinzen herrschten – sowie für andere Geldzahlungen, die an den Tokugawa-Klan geleistet werden mussten. Es war ein sehr wichtiges Amt, dessen Inhaber zu den mächtigsten und engsten Vertrauten des Shōgun zählte.
»Wisst Ihr auch, wohin Nitta- san sich begeben hat?«, fragte Sano, der erkennen musste, dass die Ermittlungen noch gefährlicher waren, als er angenommen hatte, da sie sich bis auf die höchsten Ebenen des bakufu erstreckten.
»Ich habe keine Ahnung, aber Nitta und seine beiden Gefolgsleute haben Yoshiwara noch während der Feier im Owariya verlassen.« Makino grinste, als er Sanos wachsende Besorgnis spürte.
»Warum ist er gegangen?«
»Er war nicht in Feierstimmung.« Wieder nahm Makino einen Zug an seiner Tabakspfeife.
»Warum nicht?«
»Wegen Kurtisane Wisterie. Nitta- san ist ihr Gönner und sehr verliebt in sie.« Makino schüttelte den Kopf, als könnte er nicht begreifen, dass jemand sich in eine Kurtisane verliebte. »Jetzt, nach dem Mord an Fürst Mitsuyoshi, ist Nitta- san ihr einziger Kunde. Wisterie ist sehr wählerisch, müsst Ihr wissen.«
Nach altem Brauch hatte eine tayu das Recht, sich ihre Kunden selbst auszusuchen, und schöne Kurtisanen wie Wisterie verlangten einen so hohen Preis für ihre Dienste, dass sie es sich leisten konnten, sich auf wenige Kunden zu beschränken.
»Nitta ist dermaßen eifersüchtig, dass er Wisterie im Voraus bezahlt hat, für jede Nacht den üblichen Preis, ob er sie nun besucht hat oder nicht, damit er sicher sein konnte, dass kein anderer Mann bei ihr ist. Dann aber hat er erfahren, dass Fürst Mitsuyoshi bereits zweimal um die Dienste Wisteries ersucht hatte, als Nitta aus geschäftlichen Gründen nicht nach Yoshiwara kommen konnte. Er kochte vor Zorn, als er davon erfuhr! Nun, als er gestern hierher kam, um die Nacht mit Wisterie zu verbringen, sagte ihm der Besitzer des Owariya, dass Fürst Mitsuyoshi erschienen sei und zum dritten Mal Wisteries Dienste in Anspruch nehmen wolle. Er bat Nitta- san , das Recht an Wisterie für diese Nacht an den Fürsten abzutreten.«
Ein solches Ersuchen war nicht ungewöhnlich: Wenn ein Kunde mit einer Kurtisane verabredet war, ein anderer Kunde ihm jedoch zuvorkam und die Dienste der tayu für die gleiche Nacht in Anspruch nehmen wollte, bat das ageya den ersten Kunden unter bestimmten Umständen, die tayu an den zweiten Kunden abzutreten. Mochte diese Bitte den ersten Kunden noch so sehr verärgern – es war ein Gebot der Höflichkeit und des Respekts, dieser Bitte nachzukommen, vor allem, wenn der andere Mann ein besonderer Kunde der Kurtisane war oder wenn er in Rang und Ansehen höher stand als der erste Kunde, so wie in diesem Fall.
»Woher wisst Ihr das alles?«, fragte Sano.
»Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, so viel wie möglich über meine Amtskollegen auf der Führungsebene des bakufu in Erfahrung zu bringen«, erwiderte Makino. Mit anderen Worten: Der Vorsitzende des Ältesten Staatsrates hatte Spitzel in die Dienerschaft und Amtsstuben anderer hoher bakufu- Beamter eingeschleust. »Außerdem habe ich ungewollt mitgehört, wie Nitta und der Besitzer des Owariya sich gestern Abend gestritten
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