Der Verrat
haben.«
»Um was ging es bei dem Streit?«, fragte Sano.
»Nitta- san wollte nicht auf die Nacht mit Wisterie verzichten«, sagte Makino, »besonders deshalb nicht, weil es Wisteries drittes Treffen mit Mitsuyoshi war, sodass Nitta wusste, dass Wisterie mit dem Fürsten schlafen würde. Aber Nitta- san hat es nicht gewagt, den Erben des Shōgun zu verärgern. Deshalb hat er widerwillig zugestimmt und Mitsuyoshi das Recht auf Wisterie für die Nacht abgetreten. Anschließend kam Nitta- san zu uns ins Gesellschaftszimmer, wo wir anderen beisammensaßen und feierten. Doch Nitta- san feierte nicht mit. Er setzte sich in eine Ecke, trank Sake und schmollte. Als bald darauf Wisterie ins Owariya kam und sich in einem Nebenzimmer mit Fürst Mitsuyoshi traf, hat Nitta sie durch eine Ritze in der Wand beobachtet. Als sie dann nach oben gingen, stürmte er wütend aus dem Haus. Offensichtlich konnte er es nicht ertragen, im ageya zu verweilen, während Wisterie und Mitsuyoshi im Gemach im ersten Stock zusammen waren.«
»Habt Ihr Schatzminister Nitta später noch einmal gesehen?«, fragte Sano.
»Nein. Ich habe weitergefeiert. Nitta- san hat sich in der Nacht nicht mehr blicken lassen.«
Makino mochte Recht haben, doch es bestand auch die Möglichkeit, dass Nitta zurück zum Owariya und in den ersten Stock geschlichen war, um jenen Mann zu töten, der ihn um die Nacht mit seiner Geliebten gebracht hatte.
»Habt Ihr ungewöhnliche Geräusche aus dem ersten Stock gehört, als Ihr und Eure Freunde gefeiert habt?«, fragte Sano.
»Nein. Die Musik spielte, und die anderen Feiernden waren viel zu laut«, antwortete Makino.
Sano fragte sich, was aus Wisterie geworden war. Hatte ihr Gönner sie ebenfalls getötet? Dieser Gedanke beunruhigte Sano ebenso sehr wie die Vorstellung, dass er möglicherweise zum ersten Mal im Mord an einer Frau ermitteln musste, die einst seine Geliebte gewesen war.
»Mehr kann ich Euch nicht berichten«, sagte Makino. »Darf ich fragen, wann meine Gefährten und ich Yoshiwara verlassen dürfen?«
»Sobald meine Leute sämtliche Namen aufgenommen haben«, erwiderte Sano.
Der Vorsitzende des Ältesten Staatsrats musterte Sano mit einem erwartungsvollen Blick. »Ich habe Euch auf die Fährte des wahrscheinlichen Täters geführt. Ich nehme doch an, als Gegenleistung kann ich auf Eure Verschwiegenheit zählen …?«
»Was Ihr mir erzählt habt, beweist noch längst nicht, dass Schatzminister Nitta der Täter war«, erwiderte Sano. »Und es erklärt auch nicht, wie Kurtisane Wisterie aus Yoshiwara verschwunden ist.«
Die Eingangstür des Teehauses wurde geöffnet. Sano wandte den Kopf und sah Hirata auf der Türschwelle stehen, das Gesicht vom kalten Wind gerötet. »Verzeiht, sōsakan-sama «, sagte er und verbeugte sich, »aber ich habe etwas entdeckt, das wichtig sein könnte.«
Während sie die Straße hinuntergingen, tauschten Sano und Hirata ihre bisherigen Ermittlungsergebnisse aus. »Also hatte Schatzminister Nitta ein Motiv, Fürst Mitsuyoshi zu ermorden, nämlich Eifersucht«, sagte Sano. »Und seine Vernarrtheit in Wisterie könnte eine Erklärung dafür sein, dass er sie aus Yoshiwara fortbringen ließ.«
Vor ihnen erstreckten sich zu beiden Seiten der Straße die langen Reihen der Bordelle und Teehäuser; dahinter war das Tor zu sehen, das die Wachen inzwischen geöffnet hatten. Die Besucher des Vergnügungsviertels kamen aus den Gebäuden und strömten durchs Tor, erleichtert, Yoshiwara endlich verlassen zu können. Schwarzgrau spannte sich der Himmel über der verschneiten weißen Landschaft; böiger Wind peitschte den Schnee vor sich her und versprach eine beschwerliche abendliche Heimreise nach Edo.
»Gut möglich, dass Nitta seine Geliebte in seiner Sänfte von hier fortbringen ließ«, sagte Hirata. »Für mich ist Nitta der Tat genauso verdächtig wie die yarite . Wir müssen ihn im Auge behalten.«
Es sei denn, Momoko gesteht unter der Folter, überlegte Sano und fragte sich besorgt, wo Polizeikommandeur Hoshina abgeblieben war. »Wir werden Nitta gleich morgen vernehmen«, sagte er, »falls er nicht mit Wisterie aus der Stadt geflüchtet ist.«
Als die beiden Männer das Tor erreichten, wo sie von Sanos Ermittlern erwartet wurden, bemerkte Sano, dass Hirata ihn ansah, als wollte er noch etwas sagen, könne sich aber nicht dazu durchringen.
»Gibt es noch etwas?«, fragte Sano.
»Äh … nein«, sagte Hirata stockend. »Es ist nur so, dass morgen mein miai stattfinden
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