Der Verrat
Shōgun gerichtet.
»Der Tod Fürst Mitsuyoshis hat bei unserem Herrn, dem Shōgun, einen schweren Schock hervorgerufen«, erwiderte der Arzt mit ernster Miene. »Sein inneres Gleichgewicht ist gestört, was eine Bedrohung für seine körperliche Gesundheit darstellt.«
Besorgtes Gemurmel war zu vernehmen, als die vier anwesenden Mitglieder des Staatsrats – vornehme Samurai in ehrwürdigem Alter – leise Worte wechselten.
Dr. Kitano tastete die Brust des Shōgun ab. »Tut es hier auch weh, Herr?«
»Äh … ja«, stöhnte Tokugawa Tsunayoshi.
»Er hat den ganzen Tag nichts gegessen und getrunken«, sagte der Arzt zu den Anwesenden. Dann wandte er sich an den Shōgun. »Ihr müsst wieder zu Kräften kommen, Herr. Bitte versucht, etwas zu essen!«
Diener näherten sich mit Schüsseln voller Fleischbrühe und Tee, doch der Shōgun winkte sie fort. »Ich kann nichts essen. Ach, warum muss ich so schrecklich leiden!«
Sano war erschrocken, wie sehr der Mord an Fürst Mitsuyoshi die ohnehin angeschlagene Gesundheit des Shōgun weiter geschwächt hatte, als dieser ihn und Hirata plötzlich bemerkte. »Ah, sōsakan-sama , endlich …«, sagte Tokugawa Tsunayoshi, und seine verquollenen, rot geränderten Augen hellten sich auf. »Kommt zu mir.«
Die Anwesenden beobachteten, wie Sano und Hirata sich der Plattform näherten, unweit des Kammerherrn und der vier Ältesten niederknieten und sich vor ihnen und dem Shōgun verneigten. Yanagisawa und die vier alten Männer erwiderten die Geste, wobei das Gesicht des Kammerherrn jenen gewunden-höflichen Ausdruck annahm, mit dem er Sano stets begrüßte, seit sie Waffenstillstand geschlossen hatten. Die vier Ältesten blickten hoffnungsvoll drein. Vielleicht brachte der sōsakan-sama ja gute Nachrichten, die den Shōgun aufmunterten und ihm halfen, die Krankheit zu besiegen. Sano spürte, wie er sich innerlich verkrampfte, als alle Blicke auf ihm ruhten.
»Habt Ihr den … äh, schändlichen Verbrecher gefasst, der meinen geliebten Vetter ermordet hat?«, fragte der Shōgun.
Bedauernd antwortete Sano: »Noch nicht, Herr.«
Enttäuschung legte sich auf die Züge Tsunayoshis. »Und warum nicht?«
»Ich bitte um Vergebung, Herr, aber ich brauche noch Zeit.« Sano versuchte, seine Furcht hinter einer Fassade der Höflichkeit und Zuversicht zu verbergen. Der Shōgun verstand nichts von der Ermittlungsarbeit und erwartete deshalb, dass jeder Verbrecher binnen kürzester Zeit gefasst wurde.
»Der Fall ist sehr verwickelt«, sagte Sano. »Wir müssen viele Personen vernehmen.«
»Und vielen Spuren nachgehen«, meldete Hirata sich zu Wort.
»Aber ich habe Suchtrupps losgeschickt«, fuhr Sano fort, »die nach Kurtisane Wisterie Ausschau halten, die vermisste tayu , mit der Euer Vetter, der ehrenwerte Fürst Mitsuyoshi, die gestrige Nacht verbracht hat, und …«
Mit einer ungeduldigen Geste schnitt der Shōgun ihm das Wort ab. »Könnt Ihr mir wenigstens sagen, auf welche Weise genau … äh, Mitsuyoshi- san getötet wurde? Niemand sonst scheint es zu wissen.«
Tokugawa Tsunayoshi warf einen verärgerten Blick auf Kammerherr Yanagisawa und die Ältesten, die sich rasch Sano zuwandten. Sano erkannte, dass ihnen die Umstände des Todes von Mitsuyoshi sehr wohl bekannt waren, sie es aber vorzogen, dem Shōgun die Einzelheiten von jemand anderem übermitteln zu lassen.
»Dem ehrenwerten Fürsten Mitsuyoshi wurde eine Haarnadel durchs Auge ins Hirn gestochen«, sagte Sano zögernd, »wahrscheinlich, als er halb bewusstlos gewesen ist.«
Der Shōgun schnappte vor Entsetzen nach Luft. »Gnädige Götter«, flüsterte er. Ihm brach der Schweiß aus. Ruckartig setzte er sich auf und presste die Hände an die Brust. »Aaah!«, rief er. »Ich sterbe!«
Die Ärzte stürzten an sein Bett. Sano und Hirata tauschten einen entsetzten Blick. Tokugawa Tsunayoshi hatte schon öfters geglaubt, sein letztes Stündlein hätte geschlagen, aber diesmal schien es tatsächlich so zu sein.
Dr. Kitano hielt dem Shōgun einen Becher an die Lippen. »Bitte trinkt das, Herr«, sagte er drängend. Der Shōgun nahm einen Schluck, dann ließ er sich stöhnend zurück aufs Bett sinken.
»Mein armer Vetter«, jammerte er mit kläglicher Stimme. »An einem Tag ist er noch so schön, so voller Leben … Am nächsten Tag ist er tot und verstümmelt. Oh, welch ein schrecklicher Schlag für mich, ihn zu verlieren, der immer so freundlich zu mir war!« Tokugawa Tsunayoshi liebte hübsche junge Männer, und
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