Der Verrat
Fürst Mitsuyoshi hatte seinen Rang als Erbe des Shōgun offenbar dadurch erlangt, dass er dem Herrscher geschmeichelt und ihm schöne Augen gemacht hatte. »Für einen solch grausamen Mord ist keine Strafe hart genug. Habt Ihr schon einen Verdacht, sōsakan-sama , wer diese Tat verübt haben könnte?«
»Bis jetzt gibt es nur eine Verdächtige, Herr, die yarite von Kurtisane Wisterie.« Sano erklärte, dass die Haarnadel Momoko gehörte und dass die yarite auch Fürst Mitsuyoshis Leichnam entdeckt hatte.
Wieder setzte der Shōgun sich auf. »Dann könnte diese Frau die Mörderin sein?«
»Ja. Deshalb habe ich sie verhaften lassen«, sagte eine Männerstimme von der Tür aus.
Polizeikommandeur Hoshina betrat das Gemach. Offenbar war er genauso schnell von Yoshiwara nach Edo geritten wie Sano, dennoch hatte er seine Reisekleidung bereits gegen einen eleganten, kastanienbraunen Seidenkimono getauscht, und er wirkte ausgeruht und tatendurstig. Hoshina kniete sich neben den Kammerherrn. Beide Männer gaben mit keiner Geste zu erkennen, dass sie ein Verhältnis hatten. Yanagisawa war zu keiner Zeit der alleinige Geliebte des Shōgun gewesen – es war ein offenes Geheimnis, dass beide Männer stets mehrere Liebhaber zugleich hatten –, doch der Kammerherr wollte nicht unnötig die Eifersucht oder gar den Zorn des Shōgun erregen.
Die Ältesten verbeugten sich höflich vor dem Polizeikommandeur, doch in Sano stieg Besorgnis auf: Hoshinas Erscheinen verhieß für ihn nichts Gutes.
Der Shōgun erwiderte Hoshinas Verbeugung mit einem matten Lächeln. »Aaah, Hoshina- san , willkommen«, sagte er. »Ich wusste gar nicht, dass Ihr sōsakan Sano bei … äh, seinen Ermittlungen unterstützt.«
»Ich bin stets bereit, Herr, jedem zu helfen, solange es Euch von Nutzen ist«, entgegnete Hoshina in unterwürfigem Tonfall, dennoch hörte Sano die Überheblichkeit des Mannes heraus. »Und ich glaube, dass meine Hilfe bei dieser Ermittlung erforderlich ist. Denn bei allem gebotenen Respekt vor dem sōsakan-sama – in diesem Fall geht er nicht entschlossen genug vor und macht deshalb nur langsame Fortschritte.«
Sano hatte damit gerechnet, dass Hoshina ihm Schwierigkeiten bereiten würde, doch es war das erste Mal, dass der Polizeikommandeur ihn im Beisein des Shōgun offen angriff. Sanos Puls ging schneller, und er ballte vor Zorn die Fäuste, als ihm klar wurde, dass sein Widersacher beschlossen hatte, ihre Feindschaft hier und jetzt öffentlich zu machen.
Bevor Sano sich zu den Beschuldigungen äußern konnte, fuhr Hoshina fort: »Trotz eindeutiger Beweise gegen die Verdächtige hat der sōsakan-sama sich gegen ihre Verhaftung gewehrt und will sie nicht vor Gericht stellen lassen, da er ihre Schuld in Zweifel zieht, obwohl sie offensichtlich ist. Deshalb musste ich einschreiten.«
Der Shōgun starrte Sano fassungslos an. »Ihr habt Euch geweigert, die Mörderin meines Vetters zu verhaften?«, stieß er hervor. »Ist das der Dank dafür, dass ich Euch, einen einstigen rōnin , in Euer hohes Amt befördert und Euch mein Vertrauen geschenkt habe?«
»Was die yarite angeht, gibt es Zweifel an ihrer Schuld. Es steht noch keineswegs fest, dass sie die Mörderin ist«, verteidigte sich Sano. »Und wie Ihr wisst, ist es meine Pflicht, nur Personen vor Gericht zu stellen, deren Täterschaft zweifelsfrei bewiesen ist.«
»Äh … ja, da habt Ihr auch wieder Recht«, gab der Shōgun zu, der für seine Wankelmütigkeit und Stimmungsumschwünge bekannt war.
Wenngleich Sano solche Machtkämpfe verabscheute, musste er sich gegen Hoshinas heimtückischen Angriff wehren. »Und was den Polizeikommandeur angeht … Er zieht es vor, den erstbesten Verdächtigen als Täter hinzustellen, um sich die mühsamen Ermittlungen bei der Suche nach dem wirklichen Täter zu ersparen.«
Diesmal richtete der Shōgun den Blick auf Hoshina, und Zorn rötete seine bleichen Wangen. »Stimmt das?«, fragte er. »Ich habe Euch den Befehl über sämtliche Polizeikräfte in dieser Stadt übertragen, und Ihr vernachlässigt Eure Pflicht …?«
»Ich habe die yarite verhaftet, Herr, weil es meine Pflicht war«, sagte Hoshina respektvoll, warf Sano dabei aber einen vernichtenden Blick zu. »Und solange auch nur der geringste Verdacht besteht, dass sie Fürst Mitsuyoshi ermordet hat, kann ich sie nicht auf freien Fuß setzen, denn es besteht die Gefahr, dass sie weitere Angehörige Eurer Familie angreift.«
Verwirrt ließ der Shōgun den Blick zwischen Sano
Weitere Kostenlose Bücher