Der Verrat
der hier einst ein Krieger von einem Ungeheuer angegriffen worden war. Heute war Nichome ein heruntergekommenes Viertel Yoshiwaras. Hier buhlten die niederrangigsten Kurtisanen um Kunden, zerrten sie in schmutzige Bordelle und erfüllten die sexuellen Wünsche ihrer Freier in schäbigen Zimmern, die sich mehrere Paare teilten. Fujio war einer Gruppe solcher Prostituierter in die Hände gefallen, die ihn nun heftig bedrängten.
»Lasst mich los!«, rief Fujio.
Nach wenigen Augenblicken erreichte Sano die Gruppe, packte den hokan vorn an dessen Umhang, zerrte ihn von den Frauen weg und stieß ihn mit dem Rücken gegen die Mauer. Verängstigt ergriffen die Frauen die Flucht und huschten in sämtliche Richtungen davon. Fujio hob die Hände zum Zeichen der Aufgabe.
»Kein Grund, mir wehzutun, sōsakan-sama «, sagte er und ließ ein Lächeln aufblitzen, das schon viele seiner weiblichen Bewunderer bezaubert hatte. »Ich weiß nicht, was für ein Geschäft Ihr mit mir machen wollt, aber wir können die Sache sicher auch ohne Kampf regeln.«
Sano ließ den hokan los, blieb aber wachsam und bereit, ihn jeden Moment zu packen, falls er wieder zu fliehen versuchte. »Warum seid Ihr davongerannt, als Ihr mich gesehen habt?«
»Ich hatte Angst«, gab Fujio verlegen zu.
»Angst, dass Ihr wegen Mordes an Fürst Mitsuyoshi verhaftet werdet?«
»Nun … ja.« Fujio lachte und versuchte, sein Dilemma ins Lächerliche zu ziehen, doch Sano konnte spüren, wie gern Fujio das Weite gesucht hätte. »Wenn Ihr nach dem Mörder sucht, habt Ihr den Falschen.« Ein ernster Ausdruck legte sich auf sein hübsches Gesicht. »Aber ich würde Euch gern helfen, den Täter zu fassen, auf welche Weise auch immer.«
Fujio hatte irgendetwas an sich, das ihn liebenswert machte, sodass Sano ihm nicht einmal wegen dieses offensichtlichen Versuchs, sich durch Versprechen aus seinen Schwierigkeiten herauszuwinden, böse sein konnte. »Wenn das so ist«, sagte Sano, »würde ich gern von Euch erfahren, wie Euer Verhältnis zu Fürst Mitsuyoshi gewesen ist.«
»Er war einer meiner Gönner. Ich bin für ihn und seine Freunde oft aufgetreten, hier in Yoshiwara und in der Stadt.« Ein hokan lebte von den Gaben, Fürsprachen und Empfehlungen seiner Gönner. »Deshalb war ein lebender Fürst Mitsuyoshi viel wertvoller für mich als ein toter«, fügte Fujio hinzu und hob lächelnd die Hände. »Ich hätte ihn niemals ermordet.«
Durch lebhafte Gesten mit seinen flinken, beweglichen Händen unterstrich er seine Worte, und Sano erinnerte sich, gehört zu haben, dass Fujio einst Kabuki-Schauspieler gewesen war.
»Aber Ihr habt Mitsuyoshi gehasst, weil er die Gunst Wisteries gewinnen wollte und deshalb Euer Rivale gewesen ist«, sagte Sano.
»Vielleicht hat das früher einmal gestimmt, als ich noch unsterblich in Wisterie verliebt war. Ich war jedes Mal rasend eifersüchtig, wenn sie sich mit einem ihrer vornehmen Samurai-Liebhaber traf. Aber das ist lange vorbei.« In Fujios freundliches Lächeln schlich sich ein Hauch von Herablassung. »Unsere Affäre ging letztes Jahr zu Ende, als ich die Tochter des Besitzers vom Großen Miura geheiratet habe. Heute ist Wisterie mir vollkommen gleichgültig.«
Er lehnte sich lässig gegen die Mauer. »Aber es ist interessant, dass sie angeblich in derselben Nacht verschwunden ist, als ihr Liebhaber im Bett ermordet wurde. Wisst Ihr, wo Wisterie sich jetzt aufhält?«
»Ich hatte gehofft, dass Ihr mir diese Frage beantworten könntet«, entgegnete Sano.
»Tut mir Leid. Ich habe keine Ahnung.«
»Dann macht es Euch sicher nichts aus, wenn ich Euer Zuhause durchsuche?«
Fujio zuckte die Achseln. »Überhaupt nicht.«
Als Sano sich nach seiner Wohnung erkundigte, erklärte der hokan ihm bereitwillig, dass er in Imado wohne, einem Dorf in der Nähe. Doch Sano hatte das sichere Gefühl, dass Fujio ihm irgendetwas verheimlichte.
»Wo wart Ihr in der Nacht, als Fürst Mitsuyoshi ermordet wurde, und was habt Ihr getan?«, wollte Sano wissen.
»Ich bin auf einer Feier aufgetreten. Aber Ihr habt sicher schon herausgefunden, dass diese Feier im ageya Owariya stattfand, in dem Fürst Mitsuyoshi ermordet wurde, nicht wahr? Deshalb habt Ihr mich gesucht, stimmt’s? Hier in Yoshiwara bleibt nichts geheim.« Resigniert und mit bedrückter Miene ließ Fujio die Schultern sinken, dann aber hellte seine Miene sich wieder auf, und er hob einen Zeigefinger. »Aber ich habe die ganze Zeit für die Gäste gespielt und gesungen –
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