Der Verrat
wurde, weil Dakuemons Vater dann so viel Macht dazugewinnen würde, dass er Uemori vernichten könnte.
Dass die Ältesten versuchten, Sano im Krieg gegen ihre Feinde auf ihre Seite zu ziehen, bedeutete aber nicht zwangsläufig, dass er ihre Behauptungen als eigennützige Lügen abtun konnte – und das wiederum bedeutete, dass er mit neuen Problemen rechnen musste, falls sich herausstellte, dass Ratsvorsitzender Sugita oder Fürst Dakuemon tatsächlich in den Mord an Mitsuyoshi verstrickt waren.
»Wie Ihr wisst«, wandte Sano sich an die Ältesten, »hat der Shōgun mir untersagt, Ermittlungen über die Person Fürst Mitsuyoshis, über seine Familie und seine persönlichen Beziehungen anzustellen. Wie also soll ich die Informationen nutzen, die ich von Euch bekommen habe?«
Ein Lächeln legte sich auf das feiste Gesicht Uemoris. »Das müsst Ihr selbst entscheiden.«
»So ist es.« Ohgami nickte beipflichtend.
Zorn überkam Sano, als ihm klar wurde, welches Ziel die Ältesten verfolgten. Sie wussten, dass Sano ein Mann war, der das Recht nötigenfalls über seine Pflichten als oberster Ermittler des Shōgun stellen würde, deshalb erwarteten sie nun, dass er den Befehl des Shōgun missachtete und Ermittlungen darüber anstellte, ob Ratsvorsitzender Sugita und Fürst Dakuemon als Verdächtige in Frage kamen. Und ob nun einer der beiden schuldig war oder nicht – der Skandal, Gegenstand einer solchen Ermittlung zu sein, würde den Ruf beider Männer zerstören. Und noch etwas kam hinzu: Selbst wenn es Sano gelang, den Fall zu lösen, indem er Nachforschungen über diese Männer anstellte, würde sein Ungehorsam gegenüber dem Shōgun eine harte Bestrafung nach sich ziehen. Das wussten natürlich auch die Ältesten, doch es war ihnen egal.
Sano ließ sich seinen Unwillen nicht anmerken, als er sich an Ohgami wandte. »Gibt es einen weiteren möglichen Verdächtigen, auf den Ihr mich aufmerksam machen wollt?«
»Nein«, sagte Ohgami freundlich und betrachtete das Muster der Asche auf seinem Rauchertablett mit der Miene eines Künstlers, der sein Werk begutachtet. »Ich bin nur gekommen, um meinen Kollegen zu helfen, Euch zu helfen.«
Sanos Unwille verwandelte sich in Zorn, denn er wusste genau, welches Ziel Ohgami in Wahrheit verfolgte: Er wollte Makino aus dem Amt drängen, den Vorsitzenden des Ältesten Staatsrats, und selbst die Macht an sich reißen. Wahrscheinlich hatte er seinen beiden Amtskollegen versprochen, ihnen zu helfen, die eigenen Feinde zu vernichten, falls sie sich mit ihm verbündeten. Deshalb hatte Ohgami die beiden mit hergebracht: Fern von den Spitzeln Makinos und des Shōgun sollten sie Ohgami dabei unterstützen, Sano für seine intriganten Pläne zu gewinnen.
»Danke, dass Ihr Euch so viel Mühe macht«, zwang Sano sich zu antworten.
Es wunderte ihn nicht, dass Ohgami – der Einzige der Ältesten, den er als Verbündeten betrachtete – ihn so bedenkenlos für die eigenen Interessen einzuspannen versuchte: Fast alle Beziehungen innerhalb des bakufu wurden von Eigennutz beherrscht. Vor Zorn und Enttäuschung krampfte Sano die Hände um seine leere Teeschale und starrte seine Besucher an, die seinen Blick mit selbstgefälliger Zuversicht erwiderten. Sano musste daran denken, dass er diese Männer, ja, die ganze Stadt vor den Schrecken der Schwarzen Lotosblüte bewahrt hatte – und wie dankten sie es ihm? Indem sie ihn benutzten wie ein Stück Lumpen, mit dem man Schmutz abwischt, um den Lappen dann wegzuwerfen.
Doch Sano hatte gelernt, nach außen hin Ruhe zu bewahren, sodass die Ältesten ihm seine Gedanken und Gefühle nicht ansahen. Erst nachdem sie sich verabschiedet hatten, gab Sano seiner Wut nach und verharrte wie gelähmt, bis ein scharfer Schmerz in der linken Handfläche ihn aus seiner Starre riss. Er blickte auf seine Hände und sah, dass er das dünne Porzellan der Teeschale zerbrochen hatte. Blut quoll aus der Schnittwunde in der Handfläche.
»Verzeiht, sōsakan-sama «, erklang die Stimme des Dieners erneut. Der Mann verbeugte sich und kam in die Empfangshalle.
»Was ist?«, fragte Sano, dessen Zorn verrauchte, sodass es ihm erst jetzt klar wurde, wie nahe daran er gewesen war, die Beherrschung zu verlieren.
»Es sind weitere Besucher gekommen, die Euch zu sprechen wünschen«, antwortete der Diener.
Das Innere Schloss, die Frauengemächer des Palasts zu Edo, war erfüllt von Lachen, lebhaften Stimmen und dem geschäftigen Treiben der Konkubinen und Hofdamen, die
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