Der Verrat
wollen, das zurzeit in aller Munde war.
Nachdem Diener Tee und Gebäck serviert hatten und die üblichen förmlichen Höflichkeiten ausgetauscht waren, zündeten die Ältesten sich ihre Pfeifen an. Dann sagte Ohgami: »Wir haben Neuigkeiten für Euch, sōsakan-sama .«
Sano war erstaunt. Der Informationsfluss ging für gewöhnlich in die umgekehrte Richtung, von ihm zu den Ältesten, und nicht andersherum. Und er konnte sich denken, weshalb Ohgami ihm mit neuen Informationen helfen wollte; bei Kaoru und Kato allerdings hatte er keine Erklärung. Und warum wollten sie in seiner Villa mit ihm reden, statt ihn in den Palast zu bestellen?
Ohgami klopfte vorsichtig seine Pfeife aus und zog dabei eine dünne schwarze Linie aus Asche auf dem Rauchtablett. Dann blickte er auf Uemori, der seinerseits Sano ansah, und sagte: »Ihr wisst vielleicht schon, dass Fürst Matsudaira Dakuemon in der Mordnacht in Yoshiwara gewesen ist …?«
Sano nickte. Fürst Dakuemon stand auf der Liste der Personen, die er vernehmen wollte.
»Dakuemon ist Angehöriger eines Familienzweigs der Tokugawa«, fuhr Uemori fort, saugte an seiner Pfeife und stieß dann ein tiefes, asthmatisches Husten aus, dass seine dicken Wangen wackelten. »Er ist ein bisschen älter, als es Mitsuyoshi gewesen war, und er ist weder so liebenswert und umgänglich noch ist er im bakufu so beliebt.« Uemori hielt inne, dann fuhr er mit bedeutungsschwerer Stimme fort: »Aber jetzt, wo Mitsuyoshi tot ist …«
Ist Dakuemon der erste Anwärter, Mitsuyoshis Stelle als Erbe des Shōgun anzutreten, vollendete Sano den Satz im Stillen.
»Vielleicht solltet Ihr einen genauen Blick auf die Aktivitäten Fürst Dakuemons in der Mordnacht werfen«, sagte Uemori.
Dass Uemori ihm einen weiteren Verdächtigen gleichsam auf einem goldenen Tablett servierte, alarmierte und faszinierte Sano zugleich, denn Dakuemon war Angehöriger des Tokugawa-Klans und deshalb wegen des Verbots des Shōgun, Nachforschungen über Mitsuyoshi, dessen Familie und Feinde anzustellen, für Sano unantastbar.
»Vielleicht solltet Ihr Euch auch mit Sugita Fumio beschäftigen«, sagte Kato und stopfte bedächtig seine Pfeife neu.
»Dem Ratsvorsitzenden des Rechtsamts?«, entgegnete Sano. Das Rechtsamt stand im Rang gleich unter dem Ältesten Staatsrat und war für die Beaufsichtigung verschiedener Regierungsbehörden zuständig. »Aber Sugita war am Abend des Mordes nicht in Yoshiwara.«
»Vielleicht doch«, sagte Kato, »und Ihr habt ihn bloß übersehen.«
»Wie kommt Ihr darauf, dass Sugita zu den Verdächtigen gehören könnte?« Sano konnte seine Bestürzung darüber, dass ein weiterer hoher Beamter in den Fall verwickelt wurde, nur mit Mühe verbergen.
»Vor vielen Jahren hatte Ratsvorsitzender Sugita die Absicht, eine gewisse Dame zu heiraten. Dann aber hat ihre Familie sie dem Vater des Fürsten Mitsuyoshi zur Gemahlin gegeben.« Kato benutzte eine Ecke des Rauchertabletts, um in dem kleinen, mit glühenden Kohlestückchen gefüllten Metallkästchen zu stochern, dann schob er mit der Kante des Tabletts eines der glühenden Stückchen in den Kopf seiner Pfeife, um den Tabak zu entzünden. »Doch Ratsvorsitzender Sugita liebt die Dame noch immer und hasst aus diesem Grunde ihren Gemahl. Könnte es nicht sein, dass Sugitas Abneigung sich bis auf Fürst Mitsuyoshi erstreckt hat, der dieser Ehe entstammte?«
Die Geschichte hörte sich für Sano sehr weit hergeholt an. »Gibt es denn noch andere Hinweise, dass Ratsvorsitzender Sugita der Mörder Mitsuyoshis sein könnte?« Er wandte sich Uemori zu. »Oder dass Fürst Dakuemon der Täter ist?«
»Es ist Eure Pflicht, dies zu ermitteln und Beweise zu erbringen«, erwiderte Uemori streng.
Für Sano wurde immer offensichtlicher, dass sich hinter der Fassade der Uneigennützigkeit handfeste persönliche Interessen der Ältesten verbargen. Er wusste, dass Sugita die Beförderung zum Mitglied des Ältesten Staatsrats anstrebte und einen Feldzug gegen Kato begonnen hatte, mit dem Ziel, diesen aus dem Amt zu drängen und seinen Platz einzunehmen. Gab es für Kato eine bessere Möglichkeit, sich zu verteidigen, als Sugita des Mordes am Erben des Shōgun zu beschuldigen? Sano wusste überdies, dass Kato seit langem mit dem Vater von Fürst Dakuemon in Fehde lag, der den Shōgun ständig bedrängte, Uemori aus dem Ältesten Staatsrat zu verstoßen. Deshalb würde Uemori sich mit allen Mitteln dagegen wehren, dass Fürst Dakuemon der neue Erbe des Shōgun
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