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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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ungleiche Paar.
    »He, Ratte!«, rief Hirata und winkte dem Mann.
    Der Mann kam zu Hirata herübergeschlendert und grinste, wobei er seine fauligen Zähne entblößte. »Guten Tag«, sagte er mit seltsamem, derbem Akzent. Er verbeugte sich vor Hirata, und auf sein Kommando hin tat der Affe es ihm gleich. »Wie findet Ihr die neueste Attraktion meiner Schau?«
    Die Ratte besaß ein Kuriositätenkabinett, in dem er seinem Publikum seltsame Tiere und missgebildete Menschen vorführte, und stets suchte er in ganz Japan nach neuen Monstrositäten.
    »Ein erstaunlicher Affe«, sagte Hirata und streckte die Hand aus, um dem Tier den Kopf zu tätscheln. »Woher hast du ihn?«
    »Fasst ihn lieber nicht an, er beißt«, warnte die Ratte und zerrte am Seil, als der Affe kreischte und fauchte. »Er ist von der Insel Tohoku. Man könnte fast sagen, ein Verwandter und Nachbar. Wie Ihr wisst, bin ich in Hokkaido aufgewachsen.«
    Hirata wusste, dass die Ratte von der riesigen Insel im Norden stammte, die für ihre kalten Winter und die üppige Körperbehaarung ihrer Bewohner bekannt war. »Wo wir gerade von Hokkaido sprechen …«, sagte er. »Ich suche nach jemandem, der von dort kommt.« Hirata fragte sich, ob Wisteries Geliebter genauso behaart war wie die Ratte und sich rasiert hatte, um unter den Einwohnern Edos nicht aufzufallen. »Bist du in der Stadt oder der Umgebung Landsleuten von dir begegnet?«
    Da die Ratte nebenher Neuigkeiten sammelte, um sie zu verkaufen, und sich in der Vergangenheit als zuverlässiger Informant erwiesen hatte, hoffte Hirata, von ihm einen Hinweis auf Wisteries Liebhaber zu bekommen, doch die Ratte schüttelte den Kopf.
    »In der Gegend hier habe ich seit Jahren nicht mehr von Landsleuten gehört«, sagte er. »Soviel ich weiß, bin ich derzeit in ganz Edo der einzige Mann aus Hokkaido.«
    Hirata kam eine Idee, auch wenn sie ihm lächerlich erschien. »Warst du bei einer Kurtisane namens Wisterie?«
    Die Ratte blickte verdutzt. »Ich? Herrje, nein!« Er lachte glucksend. »Ihr erlaubt Euch einen Scherz, nicht wahr? Selbst wenn ich mir eine der Schönen in Yoshiwara leisten könnte – sie würden bei meinem Anblick kreischend die Flucht ergreifen.«
    Hirata seufzte entmutigt. Wenn nicht einmal die Ratte etwas über Wisteries Geliebten wusste, musste dieser Mann sich sehr gut versteckt haben. Oder die Seiten, die er von Gorobei erworben hatte und die angeblich aus Wisteries Tagebuch stammten, waren tatsächlich gefälscht, so wie Reiko vermutet hatte.
    »Sag mir Bescheid, wenn du irgendetwas über einen Mann aus Hokkaido hörst, besonders, wenn er mit einer Frau zusammen unterwegs ist«, sagte Hirata.
    »Wird gemacht.« Die Ratte schlenderte mit seinem Affen davon.
    Hirata hasste die Untätigkeit, es drängte ihn zum Handeln. Er beschloss, nach Fukagawa zu reiten und die dortigen Nudelküchen aufzusuchen, denn in einer dieser Küchen hatte Wisterie ihrem Tagebuch zufolge gemeinsam mit ihrem Geliebten Zuflucht gefunden.
    Zuerst aber würde er seine Familie aufsuchen, um zu erkunden, wie die Aussichten standen, dass er Midori allen Widrigkeiten zum Trotz vielleicht doch noch heiraten konnte.

16.

     
    E
    in Beamter nach dem anderen erschien auf Sanos Anwesen, verschwand in der Villa und kam nach einiger Zeit wieder zum Vorschein. Sie alle waren mit der Absicht gekommen, ihre Feinde mit grundlosen Beschuldigungen zu überhäufen. Bald schwirrte Sano der Kopf. Am Vormittag konnte er die Versuche der Bürokraten, sich auf Kosten anderer bei ihm einzuschmeicheln, nicht mehr ertragen. In der Pause zwischen zwei Besuchen streifte er rasch seinen Mantel über, legte seine Schwerter an und verließ das Haus, um den einzigen Menschen aufzusuchen, der ihm sagen konnte, welche Gerüchte der Wahrheit entsprachen und welche nicht.
    Es war ein kalter, trüber Tag. Der Himmel besaß die Farbe nasser Baumwolle, und die feuchte Luft war rußig vom Rauch unzähliger Herdfeuer. Tief unterhalb des Palasthügels durchschnitten das bleigraue Band des Flusses und die Kanäle die dunkle, eintönige Fläche des Stadtbilds, die umrahmt wurde von den dunstigen Schemen der Hügel im Umland, die in der Ferne mit dem tristen grauen Himmel verschmolzen. Sano kam an patrouillierenden Soldaten und eiligen Beamten vorüber, als er durch die engen Passagen zwischen den aufragenden Steinmauern benachbarter Gebäude hindurch und über die Straßen und Gassen des Palastgeländes schritt. Die Mienen der anderen Palastbewohner, die ihm

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