Der Verrat Der Drachen: Roman
lässt.«
»Nein, das tut sie nicht«, sagte Shaan und sah auf ihr mittlerweile schmutzigweißes Schnürhemd und ihre alten Hosen hinab. Ihre grobe Kleidung war nicht gerade passend für den Palast, aber das einzige Kleid, das sie besaß, war zu schmutzig. »Wartet nur bitte einen Moment.« Sie zog sich rasch eine Bürste durchs Haar und strich sich das Hemd glatt; dann folgte sie ihm hinaus zu den Ställen.
Der Kutscher war ein kleiner Mann mit dunkler Haut, die in der Sonne faltig geworden war, und einem Gesicht, das sie an einen getrockneten Apfel erinnerte, aber er war freundlich, anders als so manch anderer Bediensteter des Tempels, und immer erpicht darauf, sie zum morgendlichen Schwimmen in die Drachenanlage zu fahren. Sie hatte den Verdacht, dass er mit den Arbeitern dort irgendein Spiel laufen hatte, und inzwischen waren Nilahs Bitten um Besuche so alltäglich geworden, dass er sich schon gut mit den Muthu-Stallknechten im Palast anzufreunden begonnen hatte.
»Diesmal ein langer Besuch?«, fragte er, als er ihr in den Wagen hinaufhalf.
»Wer weiß? Lange genug, zwei, drei Partien Domino zu spielen, nehme ich an.«
Er grinste. »Vielleicht sogar vier«, sagte er und klatschte mit den Zügeln auf die Kruppe des Muthu. »Hü!« Der Wagen holperte vorwärts. Shaan ließ die Vorhänge diesmal unten, als sie durch die Straßen fuhren, und schob sie erst auf, als sie die glatten Steine des Palasthofs überquerten.
Der Palast der Führerin war ein gewaltiger Komplex aus Kuppelbauten, Gärten und Säulengängen, der sich um einen großen Innenhof erstreckte und von einer hohen Steinmauer umgeben war. Die Ställe lagen weit vorn, links von der großen Kuppel des öffentlichen Eingangs. Shaan konnte die erhobenen Stimmen einer Gruppe von Kindern auf Besuch über die Mauer tönen hören, als sie die Stallhöfe überquerte, um zum Tor in den Innenhof zu gelangen.
Die Wachen warfen kaum einen Blick auf das von der Führerin eigenhändig unterzeichnete Schreiben, bevor sie Shaan ins geschäftige Zentrum des Palasts vorließen. Es war immer noch bewölkt, und die drückende Hitze sorgte dafür, dass viele Menschen auf der Umrandung der drei Springbrunnen saßen, während andere den relativ kühlen Schatten der Bäume suchten, die in einigem Abstand voneinander zwischen die glatten Pflastersteine gepflanzt waren. Ratgeber in Roben saßen auf Bänken und sprachen mit Verwaltungsbeamten und Ratsmitarbeitern, während die vielen Bediensteten, die für die Ernährung und Wasserversorgung im Palast verantwortlich waren, so unauffällig wie Motten umherhuschten. Am entgegengesetzten Ende des Hofs lagen die Kuppeln der Ratsgemächer und neben ihnen mit Flachdächern versehene Schreibzimmer, vor denen viele Personen an Tischen saßen, an denen unter aufgespannten Sonnensegeln Essen serviert wurde.
Shaan versuchte, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, überquerte die große Freifläche und ging auf den freistehenden Säulengang zu, der sich drei Stufen oberhalb des gepflasterten Hofs erhob. Die Residenz und die Gärten der Führerin lagen hinter einer dicken Mauer jenseits der Kolonnade, und ein halbes Dutzend Gardisten war zwischen den Säulen auf Posten und hielt Wache. Sie musterten sie mit barschem Blick, als sie die flachen Marmorstufen emporstieg und rasch durch den kühlen Schatten zu dem schweren Tor ging, das zu Nilahs privaten Gemächern führte. Die drei Wachen dort prüften ihr Schreiben mit großer Aufmerksamkeit, durchsuchten sie nach Waffen und nahmen ihr den Rest eines Stücks Brotrinde ab, das sie in einer Hosentasche vergessen hatte, bevor sie sie durchließen. Es war jedes Mal dasselbe, obwohl es auch jedes Mal dieselben Wachen waren, die sie sicherlich wiedererkannten. Aber Nilahs Mutter, Arlindah, war schließlich vergiftet worden.
An dem Wachhaus jenseits des Tors vorbei ging Shaan den Pfad zwischen den Rasenflächen und Sträuchern hinunter, um an die Vordertür des großen, einstöckigen Gebäudes zu klopfen. Nach kurzer Zeit öffnete sich die Tür. Eine junge Dienerin ließ Shaan ein und führte sie in Nilahs Wohnzimmer, einen luftigen Raum, der auf den Garten hinausging. Nilah, die Führerin von Salmut, saß auf einem der niedrigen Sofas und starrte durch die Fenster nach draußen. Ein Stoß Pergamentrollen lag geöffnet und verstreut zu ihren Füßen auf einem scharlachroten Teppich.
»Da bin ich.« Shaan durchquerte das Zimmer, um sich in einen Sessel zu setzen; ihr linkes Bein pochte vor
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