Der Verrat Der Drachen: Roman
sortieren.
»Gut, dann komm mit.« Schwester Lyria schenkte ihr ein kühles Lächeln. »Ich werde sicherstellen, dass du nicht zu spät zur Führerin kommst.«
Shaan unterdrückte ein Seufzen und stand langsam auf. Die Heilräume lagen näher an der Vorderseite des Tempels, hinter den Unterkünften, und sie folgte Lyria durch die kühlen Gänge, vorbei an Zimmer um Zimmer voll schlafender Patienten. Das Gefühl begann sich wieder in ihrer Hand aufzubauen, als sie sich so inmitten all der Kranken wahrnahm. Sie begann sich zu fragen, ob es richtig gewesen war, herzukommen; vielleicht würde dieses Bedürfnis, zu heilen, hier schwer im Zaum zu halten sein.
Schwester Lyria schien ihren Widerwillen zu spüren. »Wir haben hier viele Patienten, die Hilfe brauchen.« Sie warf ihr einen missbilligenden Blick zu. »Es wird dich von deinen eigenen Verletzungen ablenken, wenn du dich um andere kümmerst.«
»Wenn Ihr das sagt«, sagte Shaan und fing sich einen finsteren Blick ein, während sie ein Zimmer mehrere Türen vom Eingang entfernt betraten.
Der junge Mann im Bett war ein Schutzsuchender, wie viele der anderen. Er war aus einem Dorf weit im Nordosten am Rand der Wildlande gekommen. Seine Familie war tot, ermordet, als das Dorf von Scanorianern angegriffen worden war; wie viele der anderen war er mit einer Krankheit geschlagen, die seine Gliedmaßen allmählich zerstörte und das Atmen erschwerte. Er hatte hohes Fieber, und Schwester Lyria flüsterte, dass man nicht sicher sein konnte, ob er den Tag überstehen würde.
»Hier.« Sie reichte Shaan ein feuchtes Tuch und eine Schale, die mit einem Kräuteraufguss versetztes Wasser enthielt. »Kühl ihm den Kopf; tu für ihn, was du kannst. Ich muss mich um andere kümmern, die wir vielleicht retten können.«
Sie ließ Shaan allein; das Rascheln ihres langen Rocks verklang, als sie eine andere Abteilung betrat. Shaan tunkte das Tuch ins Wasser und legte den Stoff über die Stirn des Mannes. Sie konnte durch den dicken Lappen die Hitze spüren, die seine Haut ausstrahlte, und sein Atem ging schwer und unregelmäßig. Er war nicht viel älter als sie, mit blasser Haut und rotbraunem Haar, so fein, dass seine Kopfhaut durch die kurzen Strähnen zu sehen war. Seine Wangen waren eingefallen, die Haut mit roten Flecken überzogen, und der dumpfe, hefeartige Geruch der Ungewaschenen und Kranken hing über ihm. Er lag im Sterben, daran konnte kein Zweifel bestehen. Shaan hob das nun heiße Tuch an und zog es noch einmal durchs kühle Wasser, während sie das bleiche, bewusstlose Gesicht des Patienten betrachtete.
Hatte Tallis recht? Würde es besser sein, es herauszufinden, statt abzuwarten? Sie konnte dem Mann nicht noch mehr Leid zufügen, als er ohnehin schon auszustehen hatte. Und als sie Tallis’ Wunde berührt hatte, hatte sie keinen Drang verspürt, ihm Schaden zuzufügen, nur den, zu heilen. Konnte dies doch noch etwas Gutes sein?
Sie wischte sich das Wasser von den Händen und legte langsam ihre nackte, linke Hand auf die Stirn des jungen Mannes. Sofort baute sich ein anschwellendes Gefühl hinter ihrem Brustbein auf, sammelte sich und lief in einer feurigen Energielinie aus ihrem Brustkorb in ihren Arm. Der Kopf des Mannes hob sich zu ihrer Hand, als würde er davon angezogen, und schockiert riss sie die Finger weg. Sie hatte die Krankheit gesehen, gespürt, wie ihre Energie hindurchdrang. Einen Moment lang stand sie mit gefalteten Händen da und beobachtete ihn. Ging sein Atem weniger schwer?
Shaan dachte über die ruhelose Energie nach, die in ihrer Brust schwebte, als ob sie den Mann musterte, sich nach ihm ausstreckte. Die Schwestern hatten gesagt, dass er höchstwahrscheinlich sterben würde.
Sie ging zur Tür und sah nach, ob irgendjemand kam, und schloss sie dann. Ihr Herz schlug einen ängstlichen Trommelwirbel, und ihre Hände zitterten, als sie über den jungen Mann gebeugt stand, aber mit einem langen, tiefen Atemzug senkte sie langsam und vorsichtig die linke Hand wieder auf seine Stirn.
Ihre Finger begannen stark zu prickeln, bevor sie seine Haut erreichten; dann, bei der Berührung, wuchs der seltsame Druck in ihrem Brustkorb, füllte ihn bis an die Rippen aus, bis sie das Gefühl hatte, Feuer zu speien. Die Hitze stieg, und Shaan konzentrierte sich darauf, den jungen Mann anzusehen und daran zu denken, ihn zu heilen, das Leiden zu besiegen, das seinen Tod wollte. Sie drückte die Hand sanft hinunter, so dass ihre gesamte Handfläche sich an
Weitere Kostenlose Bücher