Der Verrat Der Drachen: Roman
Mailun mit freundlicher Miene eine Hand auf den Arm. »Trinken wir doch etwas Nonyu zusammen! Du hast mir gefehlt.«
Rorc kam in jener Nacht nicht in Pilars Höhle; Irissa auch nicht. Pilar überließ ihnen einen kleinen Raum, in dem sie schlafen konnten, und sie verbrachten den Rest des Tages damit, zuzuhören, wie Mailun sich mit Pilar unterhielt, und ein kompliziertes Brettspiel mit Knochenplättchen zu spielen, das Shaan immer wieder verlor, weil sie sich nicht konzentrieren konnte. Die Clansfrau sagte nichts über Jared oder ihren Verlust; nur einmal machte sie die Bemerkung, sie sei froh, dass Mailun ihre beiden Kinder wieder bei sich hätte. Am Abend bereitete sie ihnen eine Mahlzeit zu, und sie gingen früh schlafen, ohne ihre Höhle noch einmal verlassen zu haben.
Spät in der Nacht erwachte Shaan aus einem seltsamen Traum. Nichts hatte auf Azoth hingedeutet, aber sie war wieder im Dschungel gewesen und hatte auf der Brücke in der Nähe der Ruinenstadt gestanden – nur dass die Stadt jetzt nicht mehr in Trümmern lag und der Fluss, der unter ihren Füßen dahinströmte, sich wie etwas Lebendiges anfühlte. Es hatte ihr keine Angst eingeflößt; sie hatte sich wie zu Hause gefühlt.
Sie setzte sich auf. Sie wusste jetzt, was dieser Traum bedeutete. Sabut hatte es ihr gesagt. Zu Hause. Azoth. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es an der Zeit war, zu gehen. Und sie würde gehen, obwohl der Gedanke ihr schreckliche Angst machte. Nicht zu gehen würde den Tod aller bedeuten, die sie liebte. Balkis allerdings würde es nicht verstehen.
Sie schlang die Finger um den Anhänger an ihrem Hals und dachte an das, was Tuon ihr über das erzählt hatte, was der Prophet über den Schöpferstein geschrieben hatte. Konnte es sie retten, ihn zu spalten? Sabut hatte den Propheten nicht erwähnt – vielleicht hatte er nicht unter dem Einfluss der Führer gestanden. Shaan sah auf ihre linke Hand hinab und ballte sie zur Faust. Sie hatte einen Mann damit vernichtet; konnte sie dasselbe dem Schöpferstein antun? Es wirkte unmöglich, und dennoch … Sie schürzte die Lippen und öffnete die Hand. Warum sollte sie zu Azoth geschickt werden und ihn dazu bringen, den Stein mit in die Schlacht zu nehmen, wenn sie ihn zerstören sollte? Wie sollten die Vier ihn dazu benutzen, Azoth zu besiegen, wenn er zerstört war? Shaan runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Es ergab keinen Sinn.
Sie sah sich um. Tallis war nicht da, aber sie spürte ihn draußen auf dem Boden der Mondhöhle. Pilars Höhle war eine der vielen, die ringsum in die Wand einer Höhle im Herzen des Brunnens geschlagen waren, aus der sich ein Schacht in den Himmel öffnete. Die Stürme hatten sich gelegt, und die Stille war so, dass Shaan den Gesang ihres Bluts in den Ohren hatte, als sie aufstand, hinausschlich und vorsichtig die schwankende Strickleiter hinunterkletterte, um zu ihrem Bruder zu stoßen. Staub aus dem feinen Sand des Höhlenbodens überzog ihre Füße, und sie stellte sich neben ihn unter den dunklen Himmel und die hellen Sterne hoch über ihnen, die einen Lichtkreis in der Dunkelheit der Felswände bildeten.
Tallis sagte kein einziges Wort, dennoch spürte sie, wie aufgewühlt er war. Sie wusste, was er dachte, griff nach seiner Hand und umfasste sie.
»Du musst morgen gewinnen«, flüsterte sie.
Seine Lippen spannten sich an, aber er antwortete nicht.
»Du wirst gewinnen«, fuhr sie fort. »Du musst die Drachen anführen, Tallis. Rorc wird die Menschen anführen, aber du musst über die Drachen gebieten. Er kann es ohne dich nicht schaffen.«
»Und wo wirst du sein?«
»Ich habe eine andere Aufgabe.«
»Du gehst weg, nicht wahr?« Sein Lächeln, als sie nicht antwortete, war bitter, einsam. »Ich kann es spüren, Shaan«, sagte er. »Ich spüre, wie du dich von mir entfernst.«
Sie ließ seine Hand los. »Ich muss.«
»Ich will Azoth töten«, sagte er. »Ich will ihn für das töten, was er gebracht hat.«
Die Heftigkeit des Hasses in seinem Verstand entsetzte sie umso mehr, weil sein Tonfall so ruhig war. Ihr Herz machte vor Furcht einen Satz.
»Nein«, sagte sie. »Die Vier sind die Einzigen, die stark genug sind, sich ihm entgegenzustellen. Du darfst es nicht versuchen. Sie werden am Ende kommen. Du musst zulassen, dass sie ihm die Stirn bieten.« Du musst mich tun lassen, was ich tun muss , dachte sie stumm.
Tallis’ Lippen verzogen sich. »Sabut hat dir etwas gezeigt, nicht wahr?«
Shaan schüttelte nur den Kopf.
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