Der Verrat Der Drachen: Roman
Tallis spürte das Entsetzen des umnachteten Verstands und hörte das Wimmern des Mannes, der darin gefangen war. Marathin streifte den Boden; ihre Krallen wühlten Fels und Gras auf. Dann machte sie eine rasche Kopfbewegung; der Alhanti wurde weggeschleudert und prallte heftig mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden auf. Sie schwebten über ihm.
Er lebte noch. Tallis konnte spüren, dass der Alhanti ihn noch immer hasste. Er wälzte sich herum und kam auf die Beine; Tallis griff nach einem weiteren Pfeil. Diesmal würde er ihn nicht verfehlen. Einen Herzschlag lang beobachtete das Geschöpf ihn aus bösartig gerissenen, gelben Augen, dann wandte es sich ab und rannte in einem erschreckenden Tempo auf das lose Geröll der Bergausläufer zu. Tallis’ Pfeil ging ins Leere, und er wollte gerade die Verfolgung aufnehmen, als Attar auf Haraka angesaust kam.
»Lass ihn fliehen!«, rief er. »Kümmere dich um die Gefangenen; die Scanorianer könnten zurückkommen.«
Tallis zögerte, wusste aber, dass Attar recht hatte. Enttäuscht wendete er die Drachin, aber nicht, bevor er gesehen hatte, wie der Alhanti über einen Felsvorsprung geklettert und im Schatten der Bäume verschwunden war.
Sie verbrachten den Rest des Nachmittags damit, die Toten zu begraben. Von den vierhundert Dorfbewohnern hatten nur achtzig überlebt, zumeist die jüngeren Männer und Frauen. Sie erzählten Tallis und Attar, wie die Scanorianer und der Alhanti gezielt die alten Leute und Kinder angegriffen und getötet hatten, als sie zu einer Höhle in der Bergkette gelaufen waren, wo sie hatten Schutz suchen wollen.
Sie sammelten die Leichen ein, während Attar andere anleitete, Gräber auf dem kleinen Friedhof des Orts auszuheben. Bis Sonnenuntergang waren fünf Massengräber mit Steinen markiert worden, und die Überlebenden versammelten sich in einem provisorischen Unterschlupf dort, wo einst das Haus des Ratsherrn des Ortes gestanden hatte. Niemand sprach. Einige der Frauen weinten leise, während die Männer mit bleichen Gesichtern dasaßen. Das Entsetzen darüber, die toten Gesichter zu bedecken, den Kindern die starr blickenden Augen zu schließen, hatte sie alle verstummen lassen. Tallis wusste, dass ihre Verzweiflung seiner eigenen gleichkam. Er hatte noch nie so viele tote Kinder gesehen. Selbst, als er noch jünger gewesen war und es häufig Krieg zwischen den Clans gegeben hatte, waren Kinder nur selten betroffen gewesen. Gewiss, Frauen und Kinder wurden gefangen genommen, aber man ließ sie nicht über die Klinge springen. War dies etwa, was Azoth im ganzen Land zu tun beabsichtigte?
Attar winkte Tallis, ihm ins Freie zu folgen. Sie gingen ein paar Schritte von dem offenen, hölzernen Pultdach weg und blieben am zerstörten Brunnen des Orts stehen. Die Miene des Reiters war grimmig, und Tallis erriet, was er dachte. Sie waren meilenweit von jeder Stadt entfernt. Wenn noch mehr Scanorianer und Alhanti dort draußen waren, würde es eine lange Nacht werden.
»Was glaubst du, Clansmann?«, fragte er. »Spürst du irgendetwas dort draußen?«
Tallis schüttelte den Kopf. »Nein. Aber sie sind nicht wie Drachen; ich habe den Alhanti nicht gespürt, als wir angekommen sind.«
»Schande!« Attar sah weg, in die Dunkelheit. »Weißt du, ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen von ihnen sehen würde. Dachte, sie wären nur eine Sage. Und obwohl wir zwei Drachen hier haben, werde ich einfach das Gefühl nicht los, dass sie wiederkommen werden.«
Tallis wusste, was er meinte. »Ich habe ein Stück weit in den Verstand des Alhanti geblickt«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass ›Rückzug‹ ein Wort ist, das er kennt.«
»Wir müssen uns verbarrikadieren, eine Verteidigungsstellung errichten«, sagte Attar. »Die Überreste der Häuser nutzen, eine Art Mauer bauen.« Er warf einen Blick zurück zu dem Unterschlupf. »Wir werden Wachen einteilen, und die Drachen können uns dabei beschützen. Aber wir haben nur einen begrenzten Vorrat an Waffen.«
»Müssten nicht die Dorfbewohner ein paar haben?«
»Könnte sein.« Attar winkte einen jungen Mann heran, der nahebei im Staub saß. Tallis nahm an, dass er wohl etwa in seinem Alter war; er war hochgewachsen und hatte die kräftigen Schultern eines Bauern. Der junge Mann stand auf und kam zu dem Drachenreiter herüber; er sah verloren aus. Seine Hände waren schmutzig vom Grabausheben, und Streifen getrockneten Bluts überkrusteten seine Kleider.
»Wie heißt du?«, fragte
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