Der Verrat Der Drachen: Roman
sagte Nilah, und seine Heiterkeit verflog so rasch, wie sie gekommen war.
Indem er sie ernst über den Tisch hinweg musterte, sagte er mit leiser, trauriger Stimme: »Du bist eine Närrin, mein Kind, und wirst das hier noch lange bereuen.«
Einen Moment lang starrte Nilah ihn mit weißem Gesicht an; dann sprang sie auf und fegte ihre Tasse und ihren Teller zu Boden. »Hinaus!«, schrie sie. »Dein Rat ist nicht länger gefragt.«
Shaan blieb sehr still sitzen, während Morfessa mit einem müden Seufzer aufstand und das Zimmer verließ; seine Tasse nahm er mit.
Nilah blieb bleich und zitternd stehen; dann trat sie ans Fenster. Eine Zeitlang herrschte Schweigen, bevor Shaan bemerkte, dass sie weinte. Unsicher, was sie tun sollte, stand sie leise auf, um zu gehen, aber Nilah wandte sich vom Fenster ab.
»Nein. Bleib«, sagte sie. Ihre Augen waren von den Tränen gerötet. »Bitte.«
Shaan sagte: »Warum tust du das, Nilah? Wie kannst du ernsthaft glauben, dass die Freiländer eine größere Bedrohung darstellen als Azoth? Ich habe dir von ihm erzählt, du hast von den Drachenangriffen gehört, und die Stadt ist voller Flüchtlinge.« Sie trat einen Schritt auf sie zu. »Tallis ist in eines der Dörfer gereist; dort sind alle Kinder und alten Leute getötet worden. Das waren nicht die Freiländer, Nilah – das waren Azoths Geschöpfe.«
Shaan fragte sich, ob sie ihr von Rorcs geplanter Reise zu den Clans erzählen sollte. Vielleicht würde sie es sich noch einmal überlegen, in die Schlacht zu ziehen, wenn sie wusste, dass ihr Kommandant fortging. Aber vielleicht würde Nilah auch versuchen, ihn aufzuhalten, und wo würden sie dann stehen?
»Nilah«, versuchte sie es erneut. »Du musst das hier aufhalten.«
»Ich kann nicht. Es ist zu spät«, flüsterte sie. »Ich habe es Lorgon schon gesagt.«
»Was?« Shaan starrte sie an. »Wie konntest …« Sie hielt ihren Zorn mit Mühe im Zaum. » Du bist die Führerin, Nilah – mach die Entscheidung rückgängig.«
Aber sie schüttelte den Kopf. »Sie werden mich kreuzigen.«
»Was können sie dir schon antun?«, schrie Shaan. » Du bist die Führerin, es ist deine Entscheidung.«
»Ja, und ich wette, das hat auch meine Mutter gedacht«, sagte Nilah. Ihr Gesicht war weiß, und es drohten neue Tränen. »Ich weiß, dass der Diplomat nicht derjenige war, der sie ermordet hat. Ich weiß, dass das, was Rorc gesagt hat, wahrscheinlich zutrifft. Ich bin nicht so dumm, wie er denkt. Ich habe Angst , Shaan. Ich will nicht sterben.«
Shaan sah, dass sie die Wahrheit sagte, aber es fiel ihr schwer, Mitgefühl für sie aufzubringen. »Niemand will sterben, Nilah«, sagte sie. »Aber der Tod kommt auf jeden Fall. Azoth führt Drachen und eine Armee hierher, um uns alle wieder zu versklaven. Ich weiß es. Ich spüre es. Und nichts wird ihn aufhalten. Du musst es tun. Du bist die Führerin, es ist deine Aufgabe, das Volk zu beschützen. Tu endlich deine verdammte Pflicht, Nilah!«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann.« Ihre Stimme war leise, ängstlich, aber sie hatte zu weinen aufgehört.
»Dann werden wir wohl alle sterben«, sagte Shaan. »Du hättest ein Todesurteil für die ganze Stadt unterzeichnen sollen, nicht nur für den Diplomaten, denn wenn Azoth gewinnt, werden alle entweder tot oder Sklaven sein – und ich kann keinen großen Unterschied zwischen beidem erkennen.«
Nilah ließ den Kopf in die Hände sinken. »Ich habe schon Verlautbarungen anfertigen lassen. Sie werden heute Morgen in der Stadt verteilt. Es ist zu spät.«
»Es ist nicht zu spät, bis die Armee zu kämpfen anfängt«, sagte Shaan, aber Nilah schüttelte den Kopf und hob müde den verzweifelten Blick.
»Vielleicht könnte es aber gelingen. Vielleicht wird der Krieg gegen die Freilande rasch vorüber sein, und ich kann die Armee gegen Azoth kämpfen lassen. Er ist noch nicht hier, das hast du selbst gesagt. Er kommt, aber er ist nicht hier. Und Morfessa hat mir gesagt, dass Veila vielleicht Drachen von den Inseln mitbringt. Es könnte gelingen.« Aber Shaan hatte genug. Es war zwecklos. Sie wandte sich ab.
»Wohin gehst du?« Nilahs Stimme wurde laut vor Angst.
»Ich brauche etwas Luft.«
»Geh nicht weit weg, ich brauche dich, damit du mit zur Ratssitzung der Neun kommst.« Ihr Ton war flehentlich, geradezu erbärmlich, und Shaan hielt inne und sah sich in einer Aufwallung von Mitleid um. »Bitte, Shaan«, sagte Nilah. »Du bist die einzige Freundin, die ich habe.«
Sie seufzte. »In
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