Der Verrat Der Drachen: Roman
helfen würden? Ihr habt sie doch gewiss gelesen.«
Die Hüterin musterte sie. »Das habe ich, aber ich kann Euch dennoch nichts erzählen.«
»Könnt Ihr es nicht oder wollt Ihr es nicht?«, sagte Tuon.
»Das ist dasselbe.« Pasiphaes Augen verengten sich. »Wie eine Person die Schriftrollen versteht, unterscheidet sich immer von der Deutung einer anderen. Wenn ich Euch sagen würde, was ich in ihnen sehe, wäre das meine Wahrheit, nicht Eure. Es würde Euch nicht weiterhelfen.«
Enttäuscht setzte Tuon zu einer Antwort an, als sich plötzlich Ivar zu Wort meldete. »Mutter, was, wenn ich die Schriftrollen mitnehmen und mit ihnen reisen würde? Ich würde sie sicher behüten und entscheiden, wer sie sehen darf.« Pasiphae drehte sich langsam um und sah ihn an; Überraschung huschte über ihre strengen Züge. »Die Schriftrollen gehören hierher, Sohn, das weißt du.«
»Ja, aber ich glaube, dass es einige Dinge gibt, die der Prophet nicht vorhergesehen hat, und die Tatsache, dass diese Frauen herkommen würden, zählt dazu. Der Krieg mit den Freilanden ebenfalls. Saranthium wird vielleicht wieder in die Sklaverei geraten, und das würde für alle nichts Gutes verheißen. Wenn diejenigen, die gegen Azoth kämpfen, um künftige Dinge wissen, können sie vielleicht durchhalten. Vielleicht könnten die Worte des Propheten uns retten, statt uns zu verdammen. Die einzige Hoffnung, die ich sehe, ist, ihnen die Schriftrollen zuzugestehen.«
Pasiphae sagte eine Zeitlang nichts, sah ihren Sohn an, als ginge stumm etwas zwischen ihnen hin und her, und hob dann ihre Tasse.
»Ich höre deine Worte, Sohn, aber ich stimme ihnen nicht zu. Die Schriftrollen bleiben hier, wie du. Ich werde weder die Worte des Propheten noch einen weiteren Sohn an die Machenschaften des Festlands verlieren.« Sie nahm einen Schluck Kaf und wandte den Frauen den Rücken zu. »Ich werde Ashuk benachrichtigen, ihr Schiff für Euch zur morgigen Flut in der Morgendämmerung bereitzuhalten. Ich danke Euch für Euren Besuch. Mögen die Winde Zeuge Eurer sicheren Heimkehr werden.«
Mehr gab es für sie nicht zu sagen.
Tuon verbrachte den Rest des Tages und frühen Abends mit Ivar im Haus des Propheten und schrieb so viel von den Schriftrollen ab, wie sie nur konnte. Aber die Worte waren so verworren, und es gab so viele unzusammenhängende Abschnitte, dass sie am Ende nicht mehr wusste, ob sie überhaupt etwas auch nur annähernd Hilfreiches kopiert hatte; so verließ sie den kühlen, unterirdischen Raum schweren Herzens und mit schmerzenden Fingern.
Es war noch dunkel, als das Klopfen an ihrer Tür ertönte – Zeit, an Bord des Schiffs zu gehen. Sie kleidete sich rasch an und zog den Mantel über, den Veila ihr gegeben hatte, bevor sie die Tür öffnete. Eine der Frauen vom Schiff stand wartend da; ihre Haut schimmerte im Dunkel vor der Dämmerung bläulich.
»Wir sind bereit«, sagte sie. »Habt Ihr Eure Tasche?«
»Hier.« Tuon griff nach dem Gepäck, das sie auf dem Boden abgestellt hatte.
»Kommt schnell«, sagte die Frau und nahm ihr die Tasche ab. »Die Tide ist nahe am Kenterpunkt.« Sie eilte davon, und Tuon folgte ihr langsamer.
Sie ging den sandigen Weg entlang auf den Strand zu, vorbei an dem schmalen Pfad, der zu Ivars Haus führte. Sie warf im Gehen einen Blick dorthin und erinnerte sich an den Tag, an dem sie Asrith besuchen gegangen waren. Fast bedauerte sie es, den Frieden dieser Inseln gegen das Chaos in Salmut eintauschen zu müssen.
Veila war schon am Strand, als Tuon eintraf, und sah zu, wie die Schifferinnen eine Jolle an Land zogen. Das Licht begann langsam den Strand zu erhellen und unterstrich die Erschöpfung in ihrem Gesicht.
»Guten Morgen«, sagte sie. »Hast du geschlafen?«
»Kaum. Sieht aus, als hättest du auch wenig Schlaf gefunden.«
Die Seherin nickte. »Auch ich hatte viel zu bedenken.«
Eine der Schifferinnen rief denen im Wasser etwas zu, und Tuon und Veila sahen zu, wie das kleine Boot näher herangeschleppt wurde, bis sich sein Kiel in den Sand grub. Die Frau, die Tuon holen gekommen war, warf das Gepäck ins Boot.
»Ich bin froh, dass Asrith zugestimmt hat, ihren Drachenschwarm zu unserer Unterstützung zu führen«, sagte Veila. »Wenigstens wird unsere Mission so nicht ganz ergebnislos bleiben.«
Es war besser, als mit leeren Händen zurückzukehren, dachte Tuon. Sie sah zurück auf die ruhige Siedlung, aber dort war keine Spur von Ivar oder Pasiphae. Enttäuschung überkam sie. Ivar hatte ihr
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