Der Verrat: Thriller (German Edition)
duldete nicht einmal, dass sie auch nur einen Fuß in ihr Haus setzten. Ihren Anweisungen nach waren sie mit Hin- und Rückfahrkarten erster Klasse von Leeds aus auszustatten und mit einem Hotelzimmer, falls sie über Nacht bleiben mussten. George hatte sie in einem komfortablen Hotel in der Nähe von King’s Cross untergebracht. Scarlett hätte es zum Schmunzeln gebracht, wenn sie gewusst hätte, dass er absichtlich eins ausgesucht hatte, das weder Bar noch Restaurant besaß.
Marina, Jimmy und ich wurden von einem schwarzen Rolls-Royce aus den vierziger Jahren von der Hazienda zum Beerdigungsinstitut gebracht. Ich konnte das Gefühl nicht unterdrücken, dass Leanne eigentlich hätte bei uns sein sollen, doch sie war nicht aufgetaucht. Simon hatte erzählt, er hätte sie am Tag nach Scarletts Tod angerufen und zu überzeugen versucht, sie solle ihr das Zerwürfnis doch nachsehen und gemeinsam mit uns Abschied nehmen. Aber Leanne hatte darauf bestanden, Scarlett hätte sie ja nicht dabeihaben wollen, also würde sie wegbleiben. Sie würde keine gute Miene zum bösen Spiel machen. Ich fand, das war ein trauriges Ende für eine der wichtigsten zwischenmenschlichen Beziehungen in Scarletts Leben.
Es gab noch zwei weitere alte Rolls-Royce-Modelle im Beerdigungszug. Im einen fuhren Simon und George sowie zwei Assistenten der Agentur, mit der Scarlett am häufigsten zusammengearbeitet hatte. Der dritte transportierte das Team von Scarletts Fernsehtalkshow, ihren Co-Moderator, den Produzenten, ihre Stylistin und noch ein paar andere, die ich bis jetzt noch nicht getroffen hatte. Chrissie und Jade befanden sich in einem schwarzen BMW ganz am Ende des Zuges.
Der Leichenwagen war eine Kutsche, die von vier braunen Pferden mit schwarzem Federbusch gezogen wurde. Den Zug führten zwei professionelle Beerdigungsbegleiter mit schwarzen, bändergeschmückten Zylindern und stramm an den stämmigen Körpern sitzenden, knielangen schwarzen Mänteln an. Der Sarg war kaum zu sehen vor lauter Blumenkränzen. MUMMY, natürlich von Jimmy. SCARLETT auf der einen Seite, vom Fernsehsender, und dann war da noch SMILE ganz im Design des Logos der Parfümfirma. Einen so maßlos übertriebenen Leichenzug hatte ich nicht mehr gesehen, seitdem ein Ghostwriterkollege mich davon überzeugen konnte, mit ihm einer Familienbeerdigung der berüchtigten Gangsterfamilie Kray beizuwohnen.
Es müssen Tausende von Fans gewesen sein, die die Halbmeilenstrecke vom Beerdigungsinstitut zum Krematorium säumten. Sie weinten, sie jubelten. Sie warfen Blumen und bizarrerweise Konfetti in Richtung Leichenwagen. Sobald wir an ihnen vorbei waren, verließen sie den Straßenrand und reihten sich in den Zug ein. Die Polizei, die vor Ort war, um etwaigen Ordnungswidrigkeiten Einhalt zu gebieten, war hoffnungslos in der Unterzahl. Das Ausmaß der öffentlichen Trauerbezeugungen für einen nordenglischen Underdog aus der Unterschicht, der irgendwie die Herzen der Menschen für sich gewonnen hatte, schien die Beamten zu verwirren.
Selbst der Premierminister war auf den Zug aufgesprungen. Der Abgeordnete für diesen Wahlbezirk hatte das Thema Ausweitung der Brustkrebsvorsorge im Hinblick auf Scarletts tragischen Tod im Parlament zur Sprache gebracht. Der Premierminister hatte sein ernsthaftestes Gesicht aufgesetzt und ließ verlauten: »Mit Bestürzung habe ich den Tod von Scarlett Higgins zur Kenntnis genommen, einer tapferen jungen Frau, die gezeigt hat, dass es im heutigen Großbritannien möglich ist, über widrigste Lebensumstände zu triumphieren und eine erfolgreiche Karriere aufzubauen. Sie hat uns allen viel Freude gebracht und wird schmerzlich vermisst werden. Ich werde den Gesundheitsminister veranlassen, sich um diese Angelegenheit zu kümmern und dem Abgeordneten zu schreiben.« Ich hoffte, dass er die Live-Berichterstattung auf den digitalen Nachrichtensendern verfolgte, dann hätte er gesehen, wie wahre Popularität aussieht.
Als wir das Krematorium erreichten, trat uns der Bestatter mit einem großen Weidenkorb in den Armen entgegen. Während die Sargträger den Sarg auf ihre Schultern hievten, öffnete er den Korb und ließ ein Dutzend weißer Tauben unter wild herumwirbelnden Federn gen Himmel steigen. Der Anblick entlockte der Menge einen gerührten Seufzer. Es war eine höchst wirksame Theatervorstellung. Ich prägte mir die einzelnen Punkte des Weges genauestens ein, denn sie würden das Abschlusskapitel in Scarletts letztem Buch bilden.
Vor dem
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