Der Verrat: Thriller (German Edition)
das Gerät. »Lass das mal einen Moment aus«, bat sie. »Ich muss mit dir von Frau zu Frau sprechen. Nicht zur Veröffentlichung.«
Ich fragte mich, was kommen würde, und nickte. »Kein Problem. Was hast du auf dem Herzen?«
Sie kam gleich zur Sache. Jetzt, wo sie wusste, dass sie sterben würde, verschwendete sie keine Zeit mit Smalltalk. »Du warst nicht begeistert, Jimmys Patin zu sein, ich weiß.«
Mir wurde schwer ums Herz. Es war mir klar, was kam, und ich wusste nicht, wie ich mich dagegen wehren konnte. »Du weißt, dass ich nie Kinder haben wollte«, erinnerte ich sie. Ich hatte das schreckliche Gefühl, dass meine Worte wirkungslos sein würden.
»Ich weiß. Aber du hast es sehr gut gemacht. Du hast ihn kennengelernt, hast mit ihm gespielt, ihm vorgelesen und Ausflüge mit ihm gemacht. Du kaufst ihm wohlüberlegte Geschenke und lässt ihm nicht zu viel durchgehen. Ich hätte mir keine bessere Patin wünschen können.«
»Danke.« Ich zuckte leicht mit der Schulter. »Ich habe versucht zu tun, was am besten für ihn ist.«
»Eben. Als wir damals darüber sprachen, haben wir beide nicht wirklich geglaubt, dass es damit tatsächlich ernst werden könnte. Tief im Inneren war ich überzeugt, dass ich diese Scheißkrankheit besiegen würde. Und ich glaube, dir ging es genauso. Es war also keine wirkliche Absprache, die wir da trafen.«
Einen wunderbaren Moment dachte ich, es würde mir erspart bleiben. Scarlett war endlich zur Vernunft gekommen und würde Jimmy in Leannes Obhut geben, es innerhalb der Familie regeln. Aber ich hatte kein Glück. »Diesmal ist es ernst«, sagte sie. »Wir wissen beide, dass ich sterben werde. Ich sage also noch einmal, was ich letztes Mal gesagt habe. Du bist die Person, die sich um Jimmy kümmern soll. So steht es im Testament.« Sie rang sich ein schwaches Lächeln ab. »Du kannst dich nicht drücken, Steph. Ich muss wissen, dass er in sicheren Händen ist, und das heißt, in deiner Obhut.«
»Leanne wäre …«
»Eine Katastrophe«, sagte sie und schlug locker mit der Hand auf die Bettdecke, um ihr Argument zu unterstreichen. »Das weißt du doch. Mir fehlt die Energie, mit dir zu streiten, Steph. Ich muss wissen, dass mein Kind versorgt ist. Versprich mir, dass du dich um ihn kümmern wirst.«
Was konnte ich anderes sagen? »Ich verspreche es. Ich werde mich so gut um ihn kümmern, als wäre er mein eigener Sohn.«
Und so war es beschlossen. Mein Leben wurde innerhalb von einer Viertelstunde umgekrempelt. Natürlich nahm ich an, dass es eine Erbschaft für Jimmy geben würde. Nicht, dass ich es wegen des Geldes tat. Seltsamerweise dachte ich nur an Jimmy. Ich meinte, es wäre am besten für ihn, wenn die Veränderungen so gering wie möglich wären; ich würde also mein Haus in Brighton verkaufen oder vermieten und in die Hazienda ziehen müssen. Jimmy würde dann zwar die Menschen verlieren, die er am meisten liebte, aber zumindest konnte er in der vertrauten Umgebung bleiben, und das würde ihm helfen. Es wäre sicher etwas Geld da, das es uns beiden ermöglichen würde, weiter in der Hazienda zu wohnen. Und vielleicht wäre noch genug übrig, um etwas an dem bedauerlichen Dekor zu ändern. Ich kam überhaupt nicht darauf, dass sie ihrem geliebten Jungen keine müde Mark hinterlassen könnte.
43
N achdem ich drei Wochen wie im Belagerungszustand auf der Hazienda gelebt hatte, musste ich einige Tage zurück nach Brighton. Ich sagte der Pokerrunde in der Küche, ich müsse meine Post holen und meine Rechnungen bezahlen. In Wahrheit brauchte ich unbedingt ein paar Stunden für mich, in meiner eigenen Wohnung. Ich sah eine Zukunft vor mir, in der ich mir neben der Erziehung eines Kindes herzlich wenig in dieser Richtung erlauben konnte. Jetzt, fand ich, hätte ich Anspruch auf einen letzten kleinen Teil meiner Zeit.
Jeden Augenblick dieser drei Tage genoss ich. Zwei Nächte in meinem eigenen Bett. Leckeres als Seelentröster in meiner eigenen Küche. Spaziergänge frühmorgens auf der Promenade. Ein Abend beim Pubquiz. Der Klang meiner Musik aus Lautsprechern statt Kopfhörern. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich missgönnte Scarlett nicht meine Zeit und Energie. Aber ich musste mal meine Akkus aufladen. Reculer pour mieux sauter, sagt man auf der anderen Seite der schäumenden grauen Wogen, an denen ich entlangschlenderte.
Als ich zur Hazienda zurückkam, hatte sich die Atmosphäre verändert. Simon saß allein in der Küche und las eine Fachzeitschrift. Keine
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